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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe
Autoren: Michael Tietz
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versteckte dieses Wesen eine Maus zwischen seinen Krallen und nur der Schwanz schaute heraus? Das leuchtendbraune Kätzchen kam näher und streckte die eigene Pfote nach der fremden Pfote und der vermeintlichen Maus darin aus.
    Die Katzenmutter hatte Max vorhin noch hinter dem Haus gesehen, weit genug weg also, denn beim Anblick des sich die Leiter heraufquälenden Jungen hätte sie ihre Kinder sofort in Sicherheit gebracht. Sie ging dem Menschenkind aus dem Weg, wie man eben einem Wesen aus dem Weg geht, das bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit Steinen nach einem wirft. Aber Katzenmama ist weg. Weit, weit weg. Und die Kinder sind allein.
    In Max’ Hosentaschen befand sich neben seinem Handy, einer Handvoll Gummibärchen und ein paar Münzen immer auch ein Schnürsenkel. Max’ Mutter bestand darauf. Seit bei einem der seltenen Familienausflüge einmal Max’ Schnürsenkel den Geist aufgegeben hatte, Max daraufhin den ganzen Tag mit einem offenen Schuh herumlaufen musste, diesen ständig verloren hatte, gestolpert war und am Schluss so laut geheult hatte, dass sich jeder Kopf nach der glücklichen Familie umgedreht hatte, bestand Mutter auf einen Ersatzschnürsenkel in seiner Tasche. Dass er mittlerweile aber ausschließlich Schuhe mit Klettverschluss trug, schien sie dabei nicht weiter anzufechten. Aber alles, wusste Max in diesem Augenblick, alles besaß einen Sinn, selbst wenn eine Sache auf den ersten Blick sinnlos und dumm erscheinen mochte. Max hielt dem Kätzchen den Schnürsenkel hin und wusste plötzlich, warum er diesen seit einer halben Ewigkeit mit sich herumgeschleppt hatte – eine Erkenntnis, die ein Lächeln auf das Gesicht des Jungen zauberte und ihn noch mehr schwitzen ließ.
    Das Kätzchen duckte sich, sein Schwanz zuckte vor Aufregung. Plötzlich sprang es vor und stürzte sich auf den Mäuseschwanz. Das Tier biss hinein, drehte sich auf den Rücken. Und Max streichelte es. Er kraulte das Junge am Bauch und es störte ihn keineswegs, dass das Braune Krallen und Zähne in seine Finger grub. Max lächelte und betrachtete dabei die eigenen Hände. Kannten sich die beiden überhaupt? Wusste die eine, was die andere tat? Mochten sie sich, auch wenn sie ganz gegensätzliche Dinge taten? Max wusste keine Antworten, seine Hände hingegen schon, denn während Max’ Linke das Katzenkind streichelte, schlossen sich die Finger seiner Rechten um Mamas Schnürsenkel.

    » Achtung!« So schnell sah sie ihren Sohn selten rennen! Max stieß die Küchentür mit der Schulter auf, schob sich an seiner Mutter vorbei.
    » Wieso hast du dein Shirt ausgezogen?« Max’ Mutter stand am Herd und wendete irgendetwas in der Pfanne, das entfernt nach gebratenem Fleisch roch. Max aber wusste, dass es wieder nur diese Dinger sein konnten, Tofuklößchen, ihm zuliebe natürlich. Aber das spielte im Augenblick keine Rolle. Sein T-Shirt hielt er wie einen Schatz in der Hand und legte es auf den Küchentisch.
    » Da Mama, die hab ich gefunden.« Max schlug den Stoff zur Seite – auf dem Küchentisch lag ein Katzenjunges, mit rotbraun leuchtendem Fell und einer weißen Schwanzspitze. »Ich weiß nicht, ist die …, ist die tot? Sie lag hinten am Schuppen. Ich wollte sie streicheln. Mama, kannst du ihr helfen? Komm, wir fahren zum Tierarzt!«

    Eine halbe Stunde später stand da, wo eben noch die Katzenleiche gelegen hatte, das Mittagessen auf dem Tisch: Kartoffeln, Gemüse und Tofuklößchen. Max’ Teller aber unterschied sich in einer nicht unbedeutenden Kleinigkeit von denen der anderen: statt der Tofuklößchen lag ein wundervolles Kotelett vor ihm. Timi, Max’ achtjähriger Halbbruder, schielte immer wieder mit unverhohlenem Interesse auf den Teller seines Bruders, er verstand nicht, dass der Fleisch bekam, er selbst aber nicht! Bloß weil Max versucht hatte, der Katze das Leben zu retten? Deswegen diese Ungerechtigkeit? Und es hatte noch nicht einmal geklappt!
    » Nach dem Essen gehst du mit deinem Bruder hinters Haus. Dort hebt ihr ein Loch aus und dann beerdigen wir das Kätzchen, ja?«
    Timi nickte, während Max schon die Hälfte seines Koteletts verschlungen hatte. Max genoss das Fleisch und er genoss es, den Teller seines kleinen Bruders fleischlos zu sehen. Und er genoss die Hand seiner Mutter, die gerade bereits zum zweiten Mal über den Tisch gewandert kam und ihren Sohn streichelte. Danke Kätzchen , dachte Max und meinte es genau so. Danke .

3 Zwei Freunde

    » Meine Fresse, was ist denn mit dir passiert?«
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