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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe
Autoren: Michael Tietz
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stand sie annähernd senkrecht. Max machte seit Jahren einen ziemlich großen Bogen um diese Leiter, das Miauen aber, welches er von da oben jeden Tag lauter hören konnte, hatte ihn alle Ängste vergessen lassen.
    Beim Hinaufsteigen musste er an seine Mutter denken und an seinen Stiefvater. Vielleicht hatten sie ja doch recht, wenn sie ihn übergewichtig nannten. Erst gestern hatten beide im Wohnzimmer vor dem Fernseher gesessen, ihren Sprössling schlafend geglaubt, doch dieser hatte, vom Klang seines Namens angelockt, vor der Tür gestanden und jedes Wort gehört. Eines davon lautete übergewichtig . Übergewichtig nannte ihn nur Max’ Mama, Stiefvater fett . Mama hatte etwas von Babyspeck erwidert und Max’ Vater ziemlich laut gelacht, so laut, dass im selben Moment Mamas Zischen zu hören gewesen war und Max’ Kopf dazu das schon so oft gesehene Bild seiner Mutter zwischen die Ohren des Jungen gezaubert hatte, ein Bild, auf dem Mama die Lippen spitzte und ihren Zeigefinger davorlegte. Max wischte sich den Schweiß von der Stirn und wusste, dass sein Stiefvater das Problem letzte Nacht beim wirklichen Namen genannt hatte, Mutter nicht. Aber obwohl dieses Problem nun einen Namen besaß, blieb es das Gleiche und wog kein einziges Kilo weniger. Doch was sollte man in einem so winzigen Nest wie Wittlekofen denn weiter machen als Fernsehen und Computer spielen? Sicher, Alex, der mit einer beängstigenden Leichtigkeit jede Leiter hinauffliegen konnte, lebte im selben Nest, allerdings ohne Max’ Rettungsring um die Hüften. Alex hatte aber auch nicht solch einen Stiefvater!
    Das sind die Gene , sagte Mama manchmal. Ja, die Gene, was immer das auch sein sollte, aber wahrscheinlich hatte diesmal Mama recht.
    Max besaß für einen Dreizehnjährigen bereits ziemlich breite Schultern, was allerdings auch daran liegen konnte, dass alles an ihm ziemlich breit daherkam: breite Schultern und Hüften, breite Hände ( Klodeckel nannte sie Alex) und ein breites Gesicht, das durch die in die Stirn gekämmten Haare noch ein wenig breiter wirkte. Max investierte jeden Morgen ziemlich viel seiner reichlich vorhandenen Zeit in diese Frisur, aber was er auch tat, eine Ähnlichkeit zu seinen im Kinderzimmer an der Wand hängenden Idolen wollte und wollte sich nicht einstellen, im Gegenteil. Heute hatte die Frisur keine zwanzig Minuten gehalten, also genau bis zu den ersten Schweißperlen, die abgetrocknet werden wollten und somit die Frisur zerstörten.
    » Miezi.« Nummer zwei wollte auch etwas von den Streicheleinheiten abhaben und wagte sich aus der Sicherheit ihres Verstecks, Kätzchen Nummer drei folgte. Max bedachte auch dieses mit einem Grashalm, beobachtete das Spiel der Katzenkinder, ohne eine Miene zu verziehen. Er starrte durch die Tiere hindurch, streichelte und spielte mechanisch, ohne wirklich bei der Sache zu sein. Wieso , ging es Max durch den Kopf, wieso lieben die meisten Menschen Tiere mehr als ihre eigene Familie? Was besaßen Tiere, was den Menschen fehlte ? Gut, bei Hunden konnte Max das irgendwie noch verstehen – aber Katzen? Hunde, das wusste Max, die konnten Freunde sein, manchmal sogar einen Menschen ersetzen. Der alte Seiler zum Beispiel, der brauchte keine Menschen, der liebte seinen Hund und sonst nichts und niemanden. Der Alte wollte mit niemandem im Dorf etwas zu tun haben und umgekehrt gingen ihm und seinem Köter alle im Dorf aus dem Weg, einschließlich der Kinder. Hunde konnte man erziehen und sie trotteten ihrem Herrchen hinterher, als habe sie der liebe Gott einzig zu diesem Zwecke erschaffen. Aber Katzen? Die machten ihr eigenes Ding, kamen und gingen, wann immer sie Lust dazu verspürten und scherten sich einen Dreck um die Wünsche ihrer Ernährer. Und trotzdem streckte jeder die Hand nach ihnen aus und wollte sie streicheln, gab ihnen Futter. Manchmal wünschte sich Max, selbst so eine Katze sein zu können, ein Wesen, nach dem Menschen ihre Hände ausstreckten und es streichelten, mit ihm spielten. Richtig spielten, nicht wie Vater.
    Max griff in seine Hosentasche. Eines der Jungen, mit leuchtend braunem Fell und einer Schwanzspitze so weiß wie Kasis Gesicht, wenn Max ihm im Schulbus seinen neuesten Pornoclip vorspielte, sprang bei dieser Bewegung zurück, blieb aber in Reichweite des Grashalmes sitzen. Es beobachtete die große Pfote des ihm fremden Riesenwesens, eine Pfote, welche in einem seltsamen Fell verschwand und plötzlich mit einem zappelnden Wurm in der Hand zurückkehrte. Oder
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