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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe
Autoren: Michael Tietz
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Wie aus dem Boden gewachsen stand Alex plötzlich hinter der zweiköpfigen Trauergemeinde. Max drückte Timi die Schaufel in die Hand, das letzte bisschen Erde konnte der auch allein über dem Kätzchengrab aufhäufen. Er wischte sich die Hände an der Hose ab, stand auf und ging zu Alex. »Diesmal hat es dein Alter aber ganz schön übertrieben!« Max betrachtete Alex’ geschwollene Augenbraue – eine Kruste aus getrocknetem Blut klebte zwischen den Haaren und die Haut auf dieser Seite des Gesichtes sah aus wie mit einem Reibeisen bearbeitet: viele kleine Striemen und Streifen, annähernd parallel zueinander, nicht so tief, als dass sie hätten genäht werden müssen, aber auch nicht so oberflächlich, dass Max sie hätte übersehen können. Außerdem entdeckte Max weitere kleine Wunden und Kratzer an beiden Händen des Freundes. »Diesmal musst du aber ganz schön was ausgefressen haben, dass dein Alter so ausgeflippt ist!« Max konnte nicht verhindern, dass seine Worte beinahe bewundernd klangen. Deshalb also hatte Alex ihn den ganzen langen Vormittag warten lassen, denn selten verging ein Ferientag, an dem Alex nicht schon kurz nach dem Frühstück an die Tür klopfte; heute nicht, was zu Max’ Begegnung mit dem Kätzchen geführt hatte. Genau genommen trug also Alex’ Vater die Schuld an dem kleinen Grabhügel hinter Max’ Elternhaus.
    » Nein, mein Vater hat diesmal nichts damit zu tun«, sagte Alex und gab die Schuldfrage damit zurück. Er ging zu Timi und legte dem die Hand auf die Schulter. »Dein Meerschwein?« Timi, die Schaufel mit einem Häufchen Erde darauf in der Hand, hielt mitten in der Bewegung inne. Meerschwein? Was ist mit seinem Meerschwein? »Ist es gestorben?« Jetzt verstand er. Er vollendete die angefangene Bewegung, warf das letzte bisschen Erde auf das Grab und lachte dazu.
    » Nein, Mausi geht’s gut!«, sagte er voller Überzeugung, dann fiel ihm ein, dass er heute noch gar nicht nach ihm gesehen hatte und er fügte ein »glaub ich« hinzu.
    » War nur ’ne junge Katze, hat sich an einem Strick erhängt.« Max wiederholte die Geschichte, die er auch schon seiner Mutter erzählt hatte. Was sich tatsächlich zugetragen hatte, das konnte er Alex später haarklein schildern, nachher, wenn sich Timis große Ohren außer Hörweite befanden. Alex hörte sich ohne große Anteilnahme Max’ Worte an, sein Blick aber verriet, dass ihn das Kätzchen einen Dreck interessierte, dass er an etwas ganz anderes dachte. »Und was ist jetzt mit deinem Gesicht passiert? Wer war es, wenn nicht dein Alter?«
    » Ich war’s.«
    » Hä?«
    » Ich.«
    Max hielt in Bezug auf seinen Freund sehr, sehr viel für möglich, aber dass der sich selbst mit einem Reibeisen bearbeitet hatte schien ihm dann doch etwas zu weit hergeholt.
    » Seid ihr hier fertig?« Max’ Blicke folgten der auf das Grab weisenden Hand. Timi klopfte mit der Rückseite der Schaufel soeben den Grabhügel glatt, das versprochene Holzkreuz konnten sie auch später basteln. Oder gar nicht. Was brauchte das blöde Katzenvieh ein Kreuz? »Also, dann komm mit, ich muss dir was zeigen.«
    » Darf ich auch mit?« Timi stand plötzlich kerzengerade, die Füße beinahe schon militärisch korrekt nebeneinander. Bitte , dachte er, bitte . Er wusste, mit Alex gab es immer etwas zu erleben, ohne ihn und ohne den großen Bruder wartete hingegen doch wieder nur ein endlos langer Nachmittag in der Nähe seiner Mutter, einer Mutter, die jede seiner Bewegungen, vor allem die draußen auf dem Apfelbaum, mit Argwohn verfolgte und in der Regel lange bevor es richtig Spaß machen konnte mit einem Timi! unterbrach. Aber Alex schüttelte den Kopf.
    » Heute nicht Timi, echt nicht.« Rührt euch. Der Junge sackte in sich zusammen und die ihn gerade eben noch umgebende Erwartungsaura verwandelte sich in fast schon greifbare Enttäuschung. Alex tat der Kleine leid. Er ging zu ihm, wollte ihm schon die Hand auf den Kopf legen, besann sich aber eines Besseren und zog Timi stattdessen nur leicht am Ohr. »Morgen vielleicht, okay? Morgen machen wir was ganz Tolles und du kannst mitkommen, ja?« Timi sah auf und versuchte ein Lächeln. Morgen, immer hieß es entweder morgen oder Wenn du größer bist . Aber auf Alex konnte man sich verlassen, das wusste er und wenn Alex morgen sagte, dann meinte er das auch genau so, anders als Max, der manchmal das Blaue vom Himmel herunterlog und Sachen versprach, die selbst ein Achtjähriger wie Timi schon beim Hören als Lüge
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