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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe
Autoren: Michael Tietz
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Streuobstwiese. Die Äste bogen sich bis zum Boden. Keiner stützte sie, keiner pflückte das reife Obst und trug es nach Hause. Überall unter den Bäumen lagen je nach Sorte rote oder gelbe Kreise aus Äpfeln. Wespen tummelten sich in diesem Paradies, bohrten Löcher und höhlten die Früchte aus, Vögel pickten an Seilers Obst.
    Kasi blieb zuerst etwas zurück, schließlich ganz stehen. Er streckte die Hand aus und berührte den Stamm des Baumes, unter dessen Krone er sich befand.
    » Kasi! Komm jetzt.« Kasimir aber konnte nicht fassen, dass er vor drei Wochen noch auf genau diesem Baum hier gesessen und Seilers Hund um den Stamm gewickelt hatte. Drei Wochen erst? Und jetzt lief dieser Hund mit ihnen zwischen den Bäumen seines alten Herrchens hin und her und alles hatte so seine Ordnung und Richtigkeit? Der alte Seiler – tot. Rufus – tot. Max in einem abschließbaren Krankenhaus und er selbst mit einer hässlichen Narbe am Oberarm. Und die Welt drehte sich dennoch weiter?
    Kasi streckte die Hand nach einem Apfel aus. Der Reifegrad des Obstes war in diesen drei Wochen von der Krone des Baumes bis zu seinen untersten Ästen hinabgewandert, wie ein Bühnenvorhang, der von oben herabfällt und zuerst das Oberste, danach das in der Mitte, zuletzt das, was unten lag, versteckte. Dieser Vorhang hier aber versteckte nicht, sondern verwandelte sauer in süß und Grün über Gelb in Rot. Kasi streichelte den Apfel, dann umschloss ihn seine Hand und er pflückte ihn. Hasso ließ es geschehen.
    » Wenn das der alte Seiler sieht«, scherzte Alex.
    » Pst!« Timi legte den Finger auf die Lippen und sah nach oben, aber nichts passierte. Weder öffnete sich der Himmel noch fiel Hasso über die Kinder her. Seiler sah zu, wie auch Alex und Timi Obst von seinem Baum nahmen und es, statt hineinzubeißen, ans andere Ende des Dorfes trugen, auf die Höhe zwischen Wittlekofen und Wellendingen, und dort unter dem Funkmast ablegten. Wie eine Antenne in den Himmel , dachte Timi, als er seinen Apfel neben einen vertrockneten Blumenstrauß legte, wie eine Art Verbindung .

    ENDE

Nachwort

    Die Idee zu den Apfeldieben kam mir im September 2010. Anders als bei meinem ersten Roman »Rattentanz«, wo ich Geschichte und Personen bereits annähernd zwei Jahre im Kopf mit mir herumtrug, ich verschiedene Sequenzen und Geschehnisse schon fertig vor Augen hatte und nur noch darauf wartete, im Buch an die entsprechende Stelle zu gelangen, um diese niederzuschreiben, entwickelte sich die vorliegende Geschichte aus einer ganz einfachen Idee: eine Handvoll Kinder, eingesperrt und völlig auf sich gestellt. Somit war jeder in meine Tastatur getippte Satz auch für mich Neuland, nur hatte ich im Gegensatz zu Ihnen als meinem Leser die wundervolle Möglichkeit, das Geschehen hin und wieder zu korrigieren, konnte den Kindern in einer zweiten Version des ursprünglichen Textes zum Beispiel den alten Gernot Seiler entgegenschicken. Dies, also das bewusste Bearbeiten und Ausfeilen einer Geschichte, ist für mich mindestens genauso schön wie das hemmungslose Traktieren meiner Tastatur, das Tippen ohne nachzudenken, welches manchmal eher an einen Rausch denn an anstrengende Arbeit erinnert. Wenn diesem Rausch ein annehmbares Ergebnis folgt – prima, nächste Seite. Wenn es aber etwas zu verbessern gibt, ich es versuche und sich hinterher das Gefühl einstellt, dies geschafft zu haben, so ist dies ein wunderbarer Moment.
    Die »Roggenbacher Ruinen«, wie die Reste der Burgen Steinegg und Roggenbach genannt werden, existieren tatsächlich und rein zufällig liegen auch sie wieder im Radius meiner täglichen, hundinduzierten Spaziergänge. Wenn die Welt oberhalb dieser Ruinen für mein Buch auch keine große Rolle spielt und ich mit einem Federstrich das gesamte Szenario in eine andere Gegend Deutschlands oder der Welt hätte rücken können, so fand und finde ich es doch wieder schön, meine Protagonisten an reale und mir sehr vertraute Schauplätze zu schicken. Beim Schreiben selbst, weil ich genau wusste, über welche Steine oder Wege die Kinder gerade kletterten oder liefen, aber auch hinterher; so erklärte ich neulich bei einem Spaziergang meinem Sohn (der das Buch erst in ein paar Jahren lesen darf), wo die fünf entlanggingen, wo Rufus seinen Rucksack versteckte und wo Seiler seine alten Füße in die Steina hängen ließ.
    Wie schon beim »Rattentanz« überraschten mich meine Protagonisten auch dieses Mal wieder, nicht nur in dem, was das Leben
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