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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe
Autoren: Michael Tietz
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auf, schwankte und stürzte aufs Geratewohl los. Seine Finger krallten sich an Felsstücke, verschwanden in Spalten und seine Füße fanden Nasen und Schultern und Hände und Knie des Berges und das alles hielt dieser dem Retter hin und Max kletterte nach oben. Ohne auf Gefahren zu achten, ohne Schritte auszuprobieren, zog er sich weiter und immer weiter, überholte den neben ihm schwebenden Timi. Timi schrie ( Warum schreist du, mein Bruder, warum nur? ) und die Fahrt des Aufzuges stockte. Nur noch zwei Meter trennten Timi vom Licht, nur zwei Meter!
    » Timi, hier, meine Hand!«
    Kasi hatte sich bei Timis erneutem Schreien auf den Bauch geworfen, die ganze Last des Seiles hing nun an Alex’ Armen. Der stolperte mit dieser um eine Buche und wickelte die Nabelschnur um diesen Anker, während Kasimir die Hand in den Berg streckte.
    Im Sprung dankte Max seinen Spinnen und der Kraft, mit der sie ihn versorgt hatten. Ja, die Spinnen vergaßen die nicht, die zu ihnen gehörten, anders als die Menschen. Spinnen liebten, Spinnen kämpften – und Spinnen brauchten Nahrung. Max konnte sein Glück kaum fassen: Kasi streckte ihm die Hand hin, das Mädchen hatte erkannt, wozu es geboren war. Das Mädchen wollte mit ihnen kommen! Max sprang, erreichte die ihm entgegengestreckte Hand und packte zu.
    Von der unerwarteten Last vollkommen überrumpelt, knallte Kasimir nach vorn und mit dem Gesicht auf der anderen Seite des Loches ins Gras. Zum Glück, denn so verhinderte sein quer über der Öffnung liegender Körper, dass der Junge einfach in dieser verschwand. Kasi schrie, er spürte Hände, die sich an ihm hinaufhangelten, Hände, die seine Schulter erreichten, Hände, die ihm in den Bauch boxten und zur Seite schoben. Max’ Gesicht tauchte auf. Grashalme streichelten auf der einen Seite, der nackte Bauch der Mädchenbeute auf der anderen Seite sein Gesicht. Das grelle Sonnenlicht machte ihn einen Moment blind, doch er musste nichts mehr sehen, er hatte gewonnen. Jetzt nur noch die Beute in die Tiefe werfen, zuvor aber …
    Max riss seine Rechte in die Höhe und streckte der Sonne, als könne er diese mit einem gezielten Schlag vom Firmament fegen, die Faust entgegen. »Timi gehört mir«, schrie er. »Timi und das Mädchen und …«

    Hasso ließ sein Herrchen allein und stürzte sich auf die schreienden Kinder. Was genau ihn dazu trieb? Vielleicht der Lärm, vielleicht Bewegungen, die das Tier als Bedrohung für sich und das, was es zu bewachen hatte, verstand. Vielleicht aber hatte es auch Max’ Stimme wiedererkannt und sich an eine der vielen unschönen Begegnungen mit dem Jungen erinnert – es spielte keine Rolle, wichtig war nur, dass Hasso, gerade als Alex das Seil gesichert hatte und Kasi zu Hilfe eilen wollte, gerade als Kasi dachte, dass Max am Ende doch diesen Sieg zu sich in den Berg schleppen würde und gerade, als Timi nach oben sah, Hasso sein Herrchen allein ließ, auf die Kinder zusetzte und über Kasis nackten Oberkörper sprang. Das Tier kläffte und dieses Kläffen erinnerte den geblendeten Max an den Gesang der Höllenhunde. Hasso geiferte und dieser Geifer spritzte Max ins Gesicht. Er riss die Augen auf und blickte auf zwei Reihen spitzer Zähne, dazwischen eine nasse, ihn besudelnde Zunge. Heraufgezogene Lefzen, Gebell, so laut, dass es in Max’ Ohren klirrte, Zahnreihen, die unmittelbar vor seinem Gesicht aufeinanderschlugen.
    Max starrte, auf beide Unterarme gestützt, dem verhassten Köter ins Gesicht. Hätte ich ihn doch einfach vergiftet , schoss es Max durch den Kopf, hätte ich ihm doch einen Strick um den Hals gewickelt wie dem Kätzchen, hätte ich ihn doch mit Benzin übergossen und angezündet .
    Hassos Zähne bohrten sich in Max’ Schulter, nicht tief, dazu hatte Seiler seinen einzigen Freund zu gut erzogen, aber tief genug, um Max’ Hätte-ich-doch- Träume zerplatzen zu lassen. Max’ Arme knickten ein. Der Griff um Kasis Handgelenk lockerte sich und Kasi rollte zur Seite, im selben Augenblick verschwand Max im Boden. Hasso kläffte dem Jungen noch ein paarmal hinterher, warf Kasi einen desinteressierten Blick zu und rannte zurück zu seinem Herrchen. Er legte sich neben diesen, rollte sich zusammen und spürte am Rücken ein kaltes Bein. Aber er spürte es und es handelte sich um das einzig wichtige Bein.
    Max verfehlte Timi nur um wenige Zentimeter, keine Spinne hatte ein Netz für ihn aufgespannt.
    Timi, die Augen geschlossen und mit dem unformulierten Wissen im Kopf, dass seine Arme
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