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Anubis 02 - Horus

Anubis 02 - Horus

Titel: Anubis 02 - Horus
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Schwingen, die wie eine gleichermaßen weiche wie unvorstellbar starke Hand in ihr Gesicht klatschten und sie rückwärtstaumeln ließen. Statt ihr die Augen auszukratzen und ihr Gesicht zu zerfetzen, zerrten ihr die Krallen nur die Kapuze vom Kopf, sodass ihr rotes Haar wie in einer lautlosen Explosion um ihre Schultern und den Rücken hinabfloss. Wenn es noch irgendjemanden auf diesem Pier gegeben hatte, der nicht auf sie aufmerksam geworden war, dann hatte sich das wohl spätestens in diesem Augenblick geändert.
    Bast ließ sich von der Wucht des Anpralls ganz bewusst mitreißen und herumwirbeln und schlug aus der Drehung heraus zu – nicht so hart, wie sie es sich gewünscht hätte, und nicht einmal annähernd so zielsicher, aber sie traf. Federn stoben in einer lautlosen schwarzen Explosion in alle Richtungen, und sie konnte spüren, wie die empfindlichen Knochen der Flügel unter der Wucht ihres Hiebes brachen. Jetzt schrie der Vogel, nicht vor Zorn oder Angriffslust, sondern vor Schmerz.
    Hinter ihr erscholl ein anderes, viel lauteres Kreischen, und sie sah eine verschwommene Bewegung aus den Augenwinkeln. Ein Kind schrie, und irgendetwas zerbrach polternd, aber Bast achtete auf nichts von alledem, sondern führte die Bewegung nicht nur mit grimmiger Entschlossenheit zu Ende, sondern schlug zugleich ihren Mantel zurück und zog ihr Schwert, während sie dem davon torkelnden Vogel nachsprang. Die fast armlange Klinge blitzte im Sonnenlicht.
    Wieder kreischte ein Pferd, und diesmal begann die Bewegung nur in ihren Augenwinkeln und bäumte sich dann riesig und drohend neben und über ihr auf. Tödliche Hufe wirbelten nur wenige Zoll neben ihr durch die Luft, als sich das Pferd in schierer Panik aufbäumte und dann endgültig durchging.
    Alles schien sich im Bruchteil eines einzigen Atemzuges abzuspielen, und trotzdem gefror die Zeit im gleichen Moment. Das Pferd bäumte sich mit solch ungeheurer Gewalt auf, dass sein Zaumzeug riss und der jämmerliche Karren wie von einem Hammerschlag getroffen in Stücke sprang. Sie sah den Falken, der verzweifelt mit dem gebrochenen Flügel schlagend an Höhe zu gewinnen versuchte und doch weiter dem Boden entgegen trudelte, und die blitzende Klinge in ihrer Hand, das heilige Schwert ihrer Vorfahren, das sie mit in dieses kalte Land am Ende der Welt gebracht hatte, damit es ihr im vielleicht schwersten Kampf ihres Lebens beistehen konnte.
    Und plötzlich begriff sie, dass es vorbei war.
    Ihr Widersacher hatte alles riskiert, um es hier und sofort zu Ende zu bringen, im selben Moment, in dem sie den Fuß auf den Boden dieses Landes setzte, und er hatte verloren. Der Vogel war verletzt, nicht tödlich, aber schlimm genug, um ihr die Zeit zu verschaffen, die sie brauchte, um ihn einzuholen und ihr Schwert in sein Blut zu tauchen, und das war es dann. Die große Schlacht würde nicht stattfinden.
    Aber sie sah auch das Pferd, das blind vor Panik an ihr vorbeistürmte, und das Kind auf dem Pflaster; ein vielleicht sechs oder sieben Jahre altes Mädchen mit verschmiertem Gesicht, schmutzstarrendem Haar und noch schmutzigeren Kleidern, das wie gelähmt dastand und dem heranrasenden Pferd entgegen starrte. Es hatte keine Chance.
    Die Zeit kehrte wieder zu ihrem gewohnten Ablauf zurück, und Bast registrierte zu ihrer eigenen Überraschung, wie sie herumfuhr und das Schwert fallen ließ. Statt sich auf den todgeweihten Vogel zu stürzen, war sie mit zwei, drei gewaltigen Sätzen neben dem durchgehenden Hengst, packte mit der linken Hand das zerrissene Zaumzeug und krallte die Finger der anderen in seine Mähne. Die Zeit reichte nicht, es abzulenken oder gar zum Anhalten zu zwingen; noch ein, zwei rasende Schritte, und die wirbelnden Hufe würden das Kind zermalmen. Also tat sie das Einzige, was sie noch konnte: Sie legte ihre ganze übermenschliche Kraft in einen gewaltigen Ruck, mit dem sie den Kopf des Pferdes zurück- und zur Seite riss.
    Das Tier schrie, zuerst vor Schrecken und Furcht, und dann noch einmal und ungleich lauter und schriller und in schierer Agonie, als sie es zu Boden schmetterte, aber das Kreischen ging fast in dem schrecklichen Geräusch unter, mit dem seine Vorderläufe brachen. Bast warf sich mit einer hastigen Bewegung zurück und rollte noch hastiger ein Stück davon, um nicht ein paar Finger oder mehr einzubüßen, als das verletzte Pferd um sich zu beißen begann, sprang auf die Füße und war mit einem einzigen Satz neben dem Mädchen, das noch immer wie
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