Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anubis 02 - Horus

Anubis 02 - Horus

Titel: Anubis 02 - Horus
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
allerletzten Moment warf er sich herum und fing seinen Sturzflug so dicht über den Köpfen der Menge ab, dass Bast sich ernsthaft einbildete, das Rauschen der wie matt poliertes grauschwarzes Metall schimmernden Federn zu hören. Das Kreischen wiederholte sich, lauter und ungleich aggressiver, und Bast hatte einen flüchtigen Eindruck von tückisch funkelnden Augen, schrecklichen Fängen und einem gekrümmten Schnabel, scharf wie eine Klinge. Dann war die unheimliche Erscheinung so schnell wieder verschwunden, wie sie aufgetaucht war.
    Es war ein Falke gewesen, wenn auch der größte Falke, den man in diesen Breiten je zu Gesicht bekommen hatte: ein Koloss von der Spannweite eines kleinen Adlers und mit Fängen, die sein Beuteschema um ein gutes Stück über das normale Maß seiner Art hinaus erweiterten.
    Ein Falke …? Ihr Herz begann schneller zu schlagen, und nahezu im gleichen Moment hörte sie abermals einen schrillen, fast keifenden Schrei irgendwo über sich. Sie spürte, wie sich etwas in ihr anspannte.
    Aber diesmal war es nur eine Möwe, eine von zahllosen, die über dem Hafen kreisten oder scheinbar schwerelos mit reglos ausgebreiteten Flügeln im Wind tanzten und nach Abfällen oder irgendetwas anderem Ausschau hielten, das sie stibitzen konnten.
    Ein flüchtiges Lächeln erschien auf Basts Lippen und erlosch sofort wieder. Nur eine Möwe, sonst nichts. Mit ihren Nerven stand es anscheinend nicht mehr zum Besten. Aber das war auch kein Wunder, nach der Woche, die hinter ihr lag. Und so hungrig, wie sie war …
    Sie schüttelte auch diesen Gedanken ab und wollte gerade weitergehen, als hinter ihr Schritte erklangen, und dann eine wohl bekannte Stimme, von der sie eigentlich gehofft hatte, sie niemals wieder hören zu müssen.
    »My lady!«
    Bast drehte sich betont langsam herum und zwang ein freundliches Lächeln auf ihre Züge, während sie Kapitän Maistowe entgegensah, der mit energischen, weit ausgreifenden Schritten die Planke herunter eilte. Er hatte sich umgezogen und trug nun seine Kapitänsuniform statt der groben Wollhosen und des einfachen Leinenhemds, die er während der Fahrt getragen hatte und in denen er sich praktisch nicht mehr von irgendeinem der Männer unterschied, die unter seinem Kommando dienten. Am Anfang hatte Bast dieses Zeichen scheinbarer Verbrüderung beeindruckt, aber mittlerweile war sie nicht mehr ganz sicher, ob es echt war. Die Uniform saß so perfekt, dass sie sich nicht einmal die Frage stellen musste, ob sie ihm auf den Leib geschneidert worden war – und das ganz gewiss nicht vom billigsten Schneider, den er hatte finden können – und war piek sauber. Trotzdem wirkte sie an ihm irgendwie … unpassend.
    »Kapitän?«
    »Sie wollen uns schon verlassen, Mylady?« Maistowe war leicht außer Atem, als er neben ihr ankam und stehen blieb, ohne den letzten Schritt von der Planke herunter zu tun. Auf diese Weise konnte er ihr in die Augen sehen, ohne zu ihr aufblicken zu müssen; eine Vorstellung, die für einen Mann wie ihn geradezu unerträglich sein musste. Er war nicht nur außer Atem, sondern sah auch nicht besonders gut aus: Sein Gesicht war blass, und unter seinen Augen lagen deutlich sichtbare dunkle Ringe. Sein Blick war ein bisschen unstet. All das mochte daran liegen, dass er in den zurückliegenden vier Nächten nicht besonders ruhig geschlafen hatte, sondern von schlimmen Albträumen geplagt worden war. Wenigstens dafür hatte sie gesorgt.
    Bast lächelte unverändert weiter, während sie demonstrativ den Kopf zuerst nach rechts und dann nach links drehte und ihren Blick über die im Grunde wenig einladende Szenerie schweifen ließ. »Wir sind angekommen«, sagte sie. »Das hier ist doch London, oder? Es sei denn, Sie haben versehentlich den falschen Hafen angelaufen, Kapitän.«
    »Natürlich nicht.« Maistowe lächelte nervös. »Ich dachte nur, dass …«
    »Dann gibt es auch keinen Grund mehr, noch länger an Bord zu bleiben«, fiel ihm Bast ins Wort. Maistowe sah ein bisschen betroffen aus, fast schon verletzt, und ganz gegen das, was sie eigentlich beabsichtigt hatte, entschärfte sie ihre Worte im Nachhinein, indem sie hinzufügte: »Bitte verzeihen Sie, Kapitän. Das war nicht gegen Sie oder Ihr Schiff gerichtet. Ich bin einfach nicht für die Seefahrt geschaffen, fürchte ich.«
    Es war nicht zu erkennen, ob Maistowe die Entschuldigung annahm oder ihr auch nur glaubte, aber so weit ging ihr schlechtes Gewissen nun auch wieder nicht, noch einmal
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher