Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Antiheld (German Edition)

Antiheld (German Edition)

Titel: Antiheld (German Edition)
Autoren: Stiff Chainey
Vom Netzwerk:
keinen Kaffee.»
    « Tee ?», kontere ich, und das könnte jetzt glatt die beste Szene einer Slapstick-Komödie werden, nur leider spielt sie so gar nicht mit, sondern rollt nur irritiert mit den Augen.
    «Übe bitte diese Passage, ja?», entgegnet sie in einer Stimmlage, die das Gesagte wie einen Befehl klingen lässt. Dann schiebt sie die Noten mit einer fahrigen Bewegung zu einem unordentlichen Stapel zusammen. Schostakowitsch. Die 1. Sinfonie in f-Moll.
    Ich möchte ihr widersprechen, mich verteidigen, denn ich hatte wirklich keine Zeit, um diese Partitur zu perfektionieren, doch sie steht ruckartig auf und gibt mir so zu verstehen, dass der Unterricht beendet ist.
    Also packe ich meinen Rucksack und will mich gerade verabschieden, als sie mich mit weicherer Stimme fragt: «Hast du noch mal über die Aufnahmeprüfung nachgedacht?»
    Ihre Worte hallen lange nach in dem großen, leeren Raum und lassen mein Schweigen noch erdrückender wirken. Ich weiche ihrem Blick aus und betrachte stattdessen die Beschaffenheit meiner Fingernägel. Alles scheint in Zeitlupe zu geschehen, die Situation dauert ewig.
    «Mit ein wenig mehr Einsatz würdest du sie ganz sicher bestehen», sagt sie endlich. Sie spricht sehr leise und mit einem fast schon bettelnden Unterton. Dann sehen wir uns das erste Mal an diesem Abend ganz direkt in die Augen.
    «Muss wirklich los, Frau Kress!», lüge ich, sehe auf meine nicht existierende Armbanduhr und sage dann noch so etwas wie Ich denke drüber nach. Kaum ist die letzte Silbe verklungen, renne ich aus den düsteren und endlos langen Trakten des Konservatoriums. Direkt in die nächste Hölle.

    Niemand da. Das ganze beschissene Haus leer und kalt. Ich gehe ins Wohnzimmer und bleibe ein paar Minuten still in der Dunkelheit sitzen. Mein nächster Gedanke: In weniger als einer Stunde kommt mein Alter aus der Kanzlei. Meine erste Reaktion darauf: der Geschmack verfaulter Meeresfrüchte an meinem Gaumen. Um mich zu betäuben, gieße ich ein halbes Glas Single Malt ein und zappe gelangweilt durch tausend Pay-TV-Kanäle.
    Schließlich bleibe ich bei einem Porno hängen. Ein einziges, wildes Geficke in HD. Riesenschwanz in pinke Mädchenfotze. Alles in höchst möglicher Auflösung. Sperma eimerweise. Steife Erektionen in Reih und Glied, stramm und aufrecht wie Soldaten bei einer Militärparade. Die Typen haben vom Viagra blaue Streifen auf der Zunge.
    Ich bin schnell gelangweilt, auch auf die SM-Kanäle habe ich keine Lust, also mache ich die Kiste aus und döse auf der Couch ein.
    Ich träume, wie ich mechanisch bunte Kränze an leeren Gräbern niederlege. Immer wieder, immer mehr Kränze, immer mehr Gräber, tief, schwarz, kalt. Es hört niemals auf. Die Gräber erstrecken sich bis zum Horizont, eine endlose Linie.
    In einem der Gräber sitzt ein kleines Mädchen. Sie ist nackt, der Körper mit Schlamm und Erde beschmutzt. Ihr Haar leuchtet wie Feuer. Ich beobachte sie einen Moment und strecke die Hand aus, doch ich kann sie nicht erreichen, das Grab ist zu tief. Sie öffnet den Mund und will etwas sagen.
    Ich beuge mich hinunter und verliere das Gleichgewicht. Ich falle auf lehmigen, nassen Boden. Ein eigenartiger Geruch steigt mir in die Nase. Über mir ist nur der Himmel. Ein düsteres, verhangenes Rechteck. Schwarze Wolken ziehen mit unheimlicher Geschwindigkeit vorüber. Sie wirken wie Killer, man nimmt nur einen flüchtigen Eindruck wahr – kurz vor dem Tod.
    Ich stehe auf. Das Mädchen kauert immer noch in der Ecke, und als sie lächelt, erkenne ich, dass sie keine Zunge mehr hat. Dann verschwimmt alles. Der Himmel. Das Mädchen. Ich selbst. Wir werden unter kalten Erdmassen begraben und atmen Geröll und Sand, bis unsere Mägen platzen und wir erstickt sind.

    Das Geräusch eines nervös stochernden Schlüssels reißt mich aus dem Traum. Mir wird schlecht, doch an der Art, wie aufgeschlossen wird, erkenne ich, dass es nur meine Alte ist. Hat wieder Überstunden in der Kanzlei geschoben, und jetzt hat die Fotze bestimmt nicht mal Zeit zum Kochen. Dabei waren die gemeinsamen Abendessen, dieses schwülstige Besinnen-auf-familiäre-Werte doch ihre beschissene Idee. Sie kommt ins Wohnzimmer und sieht mich mit reumütigem Gesichtsausdruck an.
    «Sorry, aber ich hatte noch einen wichtigen Termin, der etwas länger gedauert hat. Ich habe überhaupt nicht auf die Uhr gesehen. Tut mir leid. Hast du schon was gegessen?»
    Ich schüttele den Kopf mit bemitleidenswerter Miene.
    «Ich gebe dir Geld und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher