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Antiheld (German Edition)

Antiheld (German Edition)

Titel: Antiheld (German Edition)
Autoren: Stiff Chainey
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jetzt wundere ich mich über all die leeren Seiten. In meinem Leben ist nichts Erwähnenswertes passiert. Das Tagebuch wirkt wie eine offene Wunde.
    Auf jeden Fall habe ich heute einen Anfang gemacht.

Die Erben aus Tiffauges
    «I saw the world. It is not beautiful.»
    Marius Jacob
    Was für ein geiles Gefühl! Mein Fuß versinkt regelrecht in der Fresse dieses Wichsers und stopft ihm das Maul, das er eben noch so weit aufgerissen hat. Die nagelneuen weißen Sneakers, die Nimkins Alter ihm geschenkt hat, sind rot von Blut, aber das ist mir jetzt scheißegal. Ich will diesen alten Drecksack vernichten . Ich will, dass er große Schmerzen leidet. Er soll schlecht verheilende Narben und komplizierte Frakturen davontragen, sich an jeden meiner Tritte erinnern, wie er sich an die Geburt seiner Kinder erinnert, nämlich den Rest seines Lebens.
    Sein Gesicht gleicht einer aufgeplatzten Tomate: eingefallene, magere Wangen – Bürokratenwangen – hängen an Knochen wie rot getünchtes Küchenkrepp. In seinen Augen tanzt eine langsam erlöschende Flamme. Die Kette aus Bluttropfen, die sich ihm um den Hals schmiegt, verstärkt den speziellen Ausdruck des Besiegt-worden-Sein. Tiefe Resignation ist an die Stelle kühler Blasiertheit getreten. Er röchelt. Sein Atem stinkt nach unzähligen Tassen Kaffee und steril zubereiteten Gerichten von Essen auf Rädern. Ich fühle mich königlich. Gewalt aktiviert das Belohnungszentrum im Gehirn.
    Das alles sind mehr oder weniger empirisch überprüfbare Fakten, doch die Medien berichten stets einseitig über das Thema: In den Nachrichten zeigen sie immer die gleichen senilen und zittrigen Opas, die mit eingeschlagenem Schädel einsam den Asphalt vollbluten. Es sind Bilder, die auf die Tränendrüse der Gutmenschen drücken. Ein von marodierenden Ariern schlimm zugerichteter Scheinasylant, der seinen stinkenden Flüchtlingsleib in schmutzige Bettlaken hüllt und mit hilflos schimmerndem Hundeblick in die Kamera sieht, um an die Retterinstinkte der satten Bildungsbürger zu appellieren. Einen Fünfer für den blutenden Kanaken und dann wieder Glücksrad gucken.
    Oder: Verwackelte Aufnahmen von Krawallen, die am Rande eines Fußballspiels in einer bedeutungslosen unteren Liga stattgefunden haben. Ein desorganisierter, wilder, feige um sich schlagender Mob, der nach einer Minute bereits in Auflösung begriffen ist und vor sich selbst in alle Himmelsrichtungen flieht. Die Medien werden abschließend über das Ereignis mit konspirativem Unterton berichten, dass sogar Ärzte und auch Rechtsanwälte an der blutigen Schlägerei teilgenommen hätten.
    Die Zeit des Antichambrierens ist ein für alle Mal vorbei. Gewalt ist längst nicht mehr ein rein proletarischer Zeitvertreib, das ist die wenig sublime Lehre. Sie ist im Darm der Gesellschaft nach oben gerutscht. Heute drischt auch ein Gentilhomme Campagnard mit dem respektvollen Blick eines Giftmischers auf die wehklagenden Hartz-IV-Empfänger ein, bis diese Parasiten am eigenen Blut erstickt sind.
    Natürlich ist das alles keineswegs objektiv. Was tunlichst verschwiegen wird, ist diese Seite: In einen fremden Körper reinzutreten ist der beste Rausch, den du kriegen kannst. Besser sogar als Koks oder Chemie. Und du kannst ihn für ganz umsonst haben.
    Zähne ausschlagen. Gliedmaßen verrenken. Knochen brechen. Eine Maschine der Destruktion, die, einmal in Gang gesetzt, zu einem Quell des hehren Wohlbefinden wird. Immer und immer wieder. Ein pervertiertes Perpetuum Mobile mit turbo-kapitalistischer Endzeiteffizienz also, nur die Physiognomie, die Beau Visage der Opfer ändert sich.
    Vorgestern die Juden.
    Gestern die Kanaken.
    Morgen deine Mutter.
    Die mechanisch klingende Stimme, die die nächste Haltestelle ansagt, höre ich nur weit entfernt. Sie dringt nicht vollständig durch den Vorhang aus expandierten Gefühlsgasen, der mich benebelt. Die Türen öffnen sich. Es ist das Zischen der Hydraulik, das mich schlussendlich zurück in die Realität reißt.
    Ich springe aus der Bahn und sehe noch einmal zurück. Das Großmaul krümmt sich wie eine zertretene Made. Ein schönes Bild. Nimkin steigt über ihn, dreht sich um und macht ein schnelles Erinnerungsfoto mit seinem Handy. Dann rennen wir den Bahnsteig entlang und verschwinden im Labyrinth der Geschäfte.
    Meine Beine bewegen sich wie von selbst. Leuchtschilder ziehen rasend schnell vorbei. Die Kapuze meines Sweaters wird vom Gegenwind nach hinten gerissen. Ich schubse einen kleinen Jungen aus
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