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Antiheld (German Edition)

Antiheld (German Edition)

Titel: Antiheld (German Edition)
Autoren: Stiff Chainey
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muss. Verweigerung. Hätte ich die Wahl, würde ich mir ein eigenes Reich im Wald erschaffen. Niemand würde mich belästigen. Ich könnte nackt herumlaufen und aus dem Fenster pissen. Weit weg von der Zivilisation und dem wertlosen Ort, der unsere Welt ist. Weit weg von diesen langsamen, dummen Menschen.
    Jeder fragt mich: Was machst du nach der Schule? Die beschissenste aller Fragen. Vielleicht sollte ich mehr darüber nachdenken. Alle prahlen mit ihren tollen Lebensentwürfen, doch ihre verflucht perfekten Planspiele haben sowieso nur ein paar Jahre Halbwertszeit. Danach verkommen sie zu Routine. Immer dasselbe. Dieselben langweiligen Visagen. Das ist alles korrupt und verlogen.
    Ich brauche nur meine Eltern ansehen. Wie glücklich sie sind. Und was haben sie nicht alles aus ihrem Leben gemacht! Einen Haufen Scheiße. Nur wollen sie das nicht wahrhaben.

    Mein Alter hängt mir ständig in den Ohren, ich solle endlich etwas aus mir machen. Nur was? Darauf hat er keine Antwort. Ich bin nur ein Loser, der natürliche Ressourcen verschwendet. Vielleicht hätten sie mich besser aus der Gebärmutter meiner Alten gekratzt oder mich mit Säure zu einem blutigen Fleischring geschrumpft. Wenn ich mich selbst begutachte, dann sehe ich nur ein ekelhaft sabberndes Monster, das sich in der Abstellkammer vor dem Euthanasieprogramm versteckt. So sind die Fakten. Ich bin nichts wert, und bevor ich gemerkt habe, wie verfault das Leben ist, war ich auch schon in dieser Rolle gefangen.

    Ich muss unweigerlich an das letzte Referat für den Leistungskurs denken. Kulturelle Unterschiede . Das Thema, das ich auswählte: Seppuku.
    Mich haben Japaner immer fasziniert, vor allem die Ernsthaftigkeit und Hingabe, mit der sie das betreiben, was der ignorante Durchschnittsdeutsche als Harakiri bezeichnet. Die dumpfe Masse ist so schlecht informiert, dass sie gemeinhin nur spektakuläre «Selbstmorde» kennt: Das Boulevard berichtet gerne und ausführlich, wenn sich ein erfolgloser Manager unmittelbar nach Verlesung der Jahresbilanz aus dem dreiunddreißigsten Stock des Unternehmenshauptsitzes gestürzt hat.
    Es ist eine spezielle Art, sich konsequent der eigenen Verantwortung zu stellen, und auch ein feiner Unterschied zu den Managern hierzulande, die im Gegensatz zum Freitod lieber eine Abfindung in Millionenhöhe wählen, doch ist es noch lange kein Seppuku .
    Seppuku ist das, was Yukio Mishima mit nüchternen Worten in Patriotismus beschreibt. In dieser Erzählung schildert er kein blutrünstiges Schlachtfest, sondern ein würdevolles Ritual.
    Noch nie hatte ich so viel Herzblut in eine Hausarbeit gelegt wie in diese, doch einmal mehr haben sie mir klargemacht, das ich für sie ein kaltes, lebloses Wesen ohne Verstand bin.
    Ich bin nicht wie sie .
    Dort, wo ich den würdevollen Sieg über die Schmach der Existenz, das heroische Märtyrertum sehe, sehen sie nur sinnentleerte Konventionen und ausgehöhlte Begrifflichkeiten. Nichts haben sie verstanden. Nichts werden sie verstehen.

    Soll ich so werden wie sie? Ich kann nicht in der Masse aufgehen, weil ich Angst vor ihren Berührungen habe, weil ich kein soziales Wesen bin. Bei diesen Gedanken blase ich mir lieber beizeiten das Hirn raus.

Der bedingt Ermordete

    « Wissen Sie, dass Sie eine sehr attraktive Frau sind?», sage ich so beiläufig und unaufdringlich, wie es mir möglich ist.
    Frau Kress sieht kurz auf und lächelt flüchtig. Ich meine es ernst. Oft sind es nur Kleinigkeiten, die meine Aufmerksamkeit erregen. Bei ihr sind es die Finger. Lang und schlank gleiten sie formvollendet über die Tasten, Klavierspiel in Perfektion.

    «Die zweite Passage, das Allegro , solltest du intensiver üben, Nimkin», wispert sie und senkt den Blick. «Du beherrschst sie noch nicht so flüssig wie den Rest. Aber das wird! Du hast dich stark verbessert!» Sie beendet den Satz mit einem freundlichen Kopfnicken.
    Ich lächle ungezwungen und schenke ihren schönen Fingern, die auf den Tasten ruhen, einen weiteren scheuen Blick. Selbst sie benutzt meinen Spitznamen.
    «Übrigens habe ich das ernstgemeint. Sie sind tatsächlich eine sehr attraktive Frau!»
    Diesmal erschrecken sie meine Worte. Ihre Schultern zucken unkontrolliert, und nachdem sie tief Luft geholt hat, sagt sie leicht enerviert: «Danke, das ist sehr nett von dir!»
    «Vielleicht kann ich Sie mal zu einer Tasse Kaffee einladen? Was meinen Sie?», hake ich nach und lächle lausbübisch.
    Ihre Antwort ist so nüchtern wie klar: «Ich trinke
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