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Gone Girl - Das perfekte Opfer: Roman (German Edition)

Gone Girl - Das perfekte Opfer: Roman (German Edition)

Titel: Gone Girl - Das perfekte Opfer: Roman (German Edition)
Autoren: Gillian Flynn
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Nick Dunne
    Der Tag, als
    Wenn ich an meine Frau denke, fällt mir immer ihr Kopf ein. Seine Form, um genau zu sein. Als ich ihr das erste Mal begegnet bin, hab ich ihren Hinterkopf gesehen, und den fand ich irgendwie hübsch. Die Konturen. Wie ein glänzendes, hartes Maiskorn oder ein Fossil aus einem Flussbett. Sie hatte, wie man es in viktorianischer Zeit genannt hätte, einen wohlgeformten Kopf . Man konnte sich gut den Schädel darunter vorstellen.
    Ich hätte ihren Kopf überall erkannt.
    Und was darin ist. Daran denke ich auch: an ihren Verstand. Ihr Gehirn, die ganzen Windungen, durch die ihre Gedanken flitzen wie hurtig-hektische Tausendfüßler. Wie ein Kind male ich mir aus, wie es wäre, ihren Schädel zu öffnen, das Gehirn aufzuribbeln und zu erforschen, ihre Gedanken einzufangen und zu studieren. Woran denkst du, Amy? Die Frage, die ich in unserer Ehe am häufigsten gestellt habe, wenn auch nicht laut und nicht der Person, die mir hätte antworten können. Vermutlich hängen solche Fragen wie Gewitterwolken über jeder Ehe: Woran denkst du? Wer bist du? Was haben wir einander angetan? Was werden wir noch tun?

    Schlag sechs Uhr früh öffneten sich meine Augen. Kein Vogelflattern der Wimpern, kein leises Blinzeln in Richtung Bewusstsein. Einfach ein mechanisches Aufwachen. Ein gespenstisches Bauchrednerpuppen-Klicken der Augenlider: Erst ist die Welt schwarz, und dann plötzlich: Showtime! 6:00, sagte die Uhr – mitten in mein Gesicht, das Erste, was ich sah. 6:00. Es fühlte sich anders an. Sonst wachte ich nie zu so einer exakten Uhrzeit auf, ich war eher ein Mann unregelmäßiger Zeiten: 8 Uhr 43, 11 Uhr 51, 9 Uhr 26. Mein Leben war weckerlos.
    Genau in diesem Moment, um 6:00 kletterte die Sonne über die Skyline der Eichen und offenbarte ihr volles wutgöttliches Sommerselbst. Ihr Widerschein loderte über den Fluss, hin zu unserem Haus, ein langer leuchtender Finger, der durch unsere dünnen Schlafzimmervorhänge direkt auf mich zielte. Anklagend: Man sieht dich! Es gibt kein Entrinnen!
    Ich suhlte mich im Bett. Es war unser New Yorker Bett, aber es stand in unserem neuen Haus, das wir immer noch das neue Haus nannten, obwohl wir bereits seit zwei Jahren hier wohnten. Ein gemietetes Haus, direkt am Mississippi River, ein Haus, das die Assoziation »Neureiche Vorstadt« aufdrängte, die Art Haus, nach der ich mich früher, als Jugendlicher auf der Hanglage-Zottelteppich-Seite der Stadt, inbrünstig gesehnt hatte. Die Art Haus, die einem sofort bekannt vorkam: Es war nichts an ihm auszusetzen, es provozierte niemanden, es war einfach nur nigelnagelneu – ein Haus, das meine Frau verabscheuen würde. Und das tat sie auch.
    »Soll ich meine Seele ablegen, bevor ich da reingehe?« Das war das Erste, was sie sagte, als sie es zu Gesicht bekam. Es war ein Kompromiss gewesen: Amy hatte darauf bestanden, in meiner kleinen Heimatstadt in Missouri nichts zu kaufen, sondern nur zu mieten, denn sie hoffte darauf, dass wir nicht allzu lange hier festsitzen würden. Doch die einzigen Häuser, die man mieten konnte, drängelten sich in diesem fehlgeschlagenen Bauprojekt, einer Miniatur-Geisterstadt von Villen in Bankbesitz, rezessionsruiniert, preisreduziert, eine Nachbarschaft, mit der Schluss war, ehe überhaupt irgendetwas angefangen hatte. Es war ein Kompromiss, aber Amy sah das nicht so, überhaupt nicht. Für Amy war es eine Laune von mir, mit der ich sie strafen wollte, ein gemeiner, egoistischer Schachzug, mit dem ich Salz in ihre Wunden streute. Wie ein primitiver Höhlenmensch verschleppte ich sie in eine Stadt, die sie aggressiv gemieden hatte, und zwang sie, in einer Art Haus zu leben, für die sie immer nur Hohn und Spott übriggehabt hatte. Wahrscheinlich handelt es sich bei einer Entscheidung, die nur einer der Beteiligten für einen Kompromiss hält, nicht wirklich um einen Kompromiss, aber so sahen Kompromisse bei uns meistens aus. Einer war immer wütend. Meistens Amy.
    Aber an diesem Missstand bin nicht ich schuld, Amy. Mach die Konjunktur dafür verantwortlich, nenn es Pech, schieb es meinen Eltern in die Schuhe, deinen Eltern, dem Internet, den Menschen, die das Internet benutzen. Früher war ich Journalist. Ein Autor, der über Fernsehsendungen, Filme und Bücher schrieb. Damals, als die Leute noch Druckerzeugnisse auf Papier lasen, damals, als sich noch jemand für das interessierte, was ich dachte. Ich war Ende der Neunziger nach New York gekommen, die letzten Züge der
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