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Ansichten eines Klaus - Roman

Ansichten eines Klaus - Roman

Titel: Ansichten eines Klaus - Roman
Autoren: Michael-André Werner
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Kneipen, die bei nem Gericht in der Nähe sind, auch oft: Zur letzten Instanz. Oder bei Kirchen in der Nähe: Abendmahl«, sagt Armin.
    »Oder: Letzte Ölung.«
    »Ach, ihr redet doch Quatsch«, sagt der Lockenkopf und trinkt sein Bier aus. »Ihr seid doch betrunken. – Wer ist denn nun dieser Alexander Nühus.«
    »Also ...«, ich hole tief Luft. Es war einmal ein Junge, dessen Urururgroßeltern lebten in Holland, und sie wanderten nach Deutschland aus, wegen Arbeit oder aus Glaubensgründen oder weil dauernd das Wasser über die Deiche der Küste schwappte und ihre Füße nässte. Wahrscheinlich wohnten die Urururgroßeltern zunächst auch nur nahe der deutsch-niederländischen Grenze, wo auch immer die damals entlangführte, oder in der nächstgrößeren Stadt, vielleicht Aachen. Vielleicht zogen sie noch ein-, zweimal um in Deutschland,damals noch Preußen oder Kaiserreich, vielleicht gehörte das sowieso alles zusammen, vielleicht zogen sie auch gleich in die Hauptstadt. Vielleicht taten das auch erst ihre Kinder oder Enkel oder aber die Familie zog von Generation zu Generation immer ein Stückchen näher, immer war eine Frau schuld, dass der Erstgeborene die Heimatstadt und seine Eltern verließ und weiter gen Osten ging. Ich weiß es nicht. Irgendwann jedenfalls wohnten sie in Berlin, der Krieg war zu Ende, die Stadt geteilt, der Erstgeborene der Nachkriegsgeneration der ehemaligen Holländer lag mit seiner frischvermählten Ehefrau am Strandbad Wannsee, und als es Abend wurde, ein sehr warmer Sommerabend in jenem Jahr, versteckten sie sich vielleicht in einer der Umkleidekabinen oder bei den Duschen oder Toiletten und kamen erst wieder hervor, als das Bad leer war und sie den ganzen Strand für sich allein hatten. Sie tollten im warmen Sand herum, buddelten sich gegenseitig zur Hälfte ein und wieder aus, sprangen ins Wasser, und als es zu dämmern begann, zeugten sie bei einem für damalige Zeiten wahrscheinlich recht gewagten Liebesspiel, das allerdings niemand sah (weil ja niemand da war – und hätte jemand am Strand gestanden, selbst dann nicht, denn sie zeugten unter Wasser) ihren erstgeborenen Sohn, der dann auch ihr einziger blieb. Dann schwammen sie noch ein Stück, kamen aus dem Wasser, trockneten sich ab, kletterten übereinen Zaun, und fuhren mit dem Bus nach Hause zu ihr, wo sie noch zur Untermiete bei ihren Eltern wohnten.
    Sieben Jahre später wurde ihr Sohn Jörg eingeschult. Er lernte lesen, schreiben, rechnen, schürfte sich ein paarmal die Knie auf und lernte mit sechs Fahrradfahren, mit sieben Schwimmen, mit acht mit Messer und Gabel essen, mit elf Malzbier aus einer Flasche trinken und mit zwölf wechselte er die Schule. Die Grundschule war vorbei, und er kam aufs Gymnasium.
    Dort sahen wir uns zum ersten Mal. Wahrscheinlich. Ich weiß nicht, ob er mich sah oder wahrnahm, ich ihn jedenfalls nicht. In der Grundschule hatten wir Jungs immer zusammen mit den Mädchen Sport gehabt, jetzt in der siebten Klasse wurden wir getrennt. Die obere Sporthalle für die Mädchen und die untere für die Jungs, in sicherer Entfernung, im Keller, drei Stockwerke massiven Altbaus zwischen uns. Oder umgekehrt, alle zwei Wochen wurde gewechselt. Und zusammen mit der Parallelklasse. Die Mädchen der 7b zusammen mit unseren Mädchen und wir zusammen mit den Jungs der 7b. Und darunter war auch Nieuwhus. Jörg Nieuwhus. Nicht, dass wir uns angefreundet hätten, schon gar nicht in der ersten Sportstunde. Neue Schule, neue Mitschüler, neue Lehrer, neue Sporthalle, da will man nicht auch noch neue Freunde haben. Da reichen einem die wenigen, dievon der Grundschule mitgekommen sind. Oder die, die man seit zwei Tagen aus der eigenen Klasse kennt. Da muss man sich nicht mit einem von fünfzehn neuen aus der Parallelklasse anfreunden, die sowieso alle doofer sind als die eigenen. Parallelklassen sind immer doof. Weil sie ruhiger sind, weil sie artiger sind, weil sie Streber sind. Und schon nach einer Woche viel weiter als die eigene Klasse. Behaupteten jedenfalls der Mathelehrer und der Englischlehrer: ›Die 7b ist schon viel weiter als ihr, aber die passt ja auch besser auf und ist nicht so chaotisch wie ihr. Aber wartet mal ab, nach dem Probehalbjahr, da wird hier gerodet, die Hälfte von euch wird fliegen. Da seh ich euch dann die nächsten zwanzig Jahre beim Nachhausegehen auf der Straße Laub fegen.‹ Warum sollte man sich also mit denen aus der Parallelklasse anfreunden?
    Nieuwhus wurde immer in die andere
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