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Ansichten eines Klaus - Roman

Ansichten eines Klaus - Roman

Titel: Ansichten eines Klaus - Roman
Autoren: Michael-André Werner
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Mannschaft gewählt, war immer in der Gruppe an dem anderen Gerät und hat auf dem Sportplatz eher Weitsprung als Laufen gemacht. Wir kannten uns. Vom Sehen. Aber wahrscheinlich haben wir in der ganzen gemeinsamen Schulzeit nicht mehr als zwanzig Worte gewechselt. Nicht mal in der Oberstufe. Zwei Jahre im Bio-Leistungskurs zusammengesessen. Und – nichts. Er saß irgendwo hinter mir. Nach dem Abi standen wir alle zusammen in einem großen Kreis im Lehrerzimmer und stießen mit Sekt an. Er stand mir genau gegenüber, hatgelächelt wie immer. Er hat immer gelächelt, sein Lächeln war eingemeißelt in sein Gesicht, gentechnisch einprogrammiert in der langen Ahnenreihe. Wahrscheinlich hatte jede Frau immer nur den lächelndsten der Nieuwhus-Brüder gewählt, er musste gar keine Miene verziehen, um zu lächeln, wahrscheinlich lächelte er sogar im Schlaf, wenn alle Gesichtsmuskeln entspannt waren, es war ein Wunder, dass er nicht den Spitznamen ›der Lächler‹ bekommen hatte. Ich glaube, er hatte sogar gar keinen Spitznamen bekommen.
    Dann haben wir uns aus den Augen verloren, aber das klingt auch, als wären wir vorher befreundet gewesen.
    Ich sah ihn fast zehn Jahre später wieder, in einem Werbespot für Bier, und selbst da hab ich ihn gar nicht gleich wiedererkannt – trotz des Lächelns. Erst ein paar Jahre danach, als er in den Zeitungen auftauchte und ab und zu im Fernsehen, das neue – lächelnde – Gesicht der Firma der Stadt. Da war doch mal dieser Nieuwhus in meiner Schule gewesen, dachte ich, in meiner Parallelklasse. Ja, als Jörg wird man kein wichtiger Mann. Er hatte seinen Namen in Alexander geändert.
    »Dieser Typ aus der Bierwerbung«, fällt mir Armin ins Wort, ohne dass ich auch nur Piep sagen konnte. »Der auf dem Berg steht, und da findet er diese Bierflasche. Dingensbräu. Aufm Gipfel isses einsam.«
    »Königsbräu«, sage ich, »der Gipfel der Genüsse. – An dir ist auch kein Werbetexter verlorengegangen. Dingensbräu hier, aufm Gipfel isses einsam .« Ich schüttle den Kopf.
    »Ist es doch aber!«
    Ich greife nach meinem Glas, erhebe es. »Prost. Ich trinke Dingensbräu hier, um meinen Alzheimer zu vergessen.«
    Wir stoßen an.
    »Und was ist nun mit diesem Bierfritzen?«, fragt der Lockenkopf.
    »Der ist Pressechef bei Dingens hier«, sagt Armin.
    »Siemens?«
    »Quatsch.«
    »Vattenfall?«
    »Ach halt doch den Mund. – Der hat sich von seiner Freundin getrennt.«
    »Sie sich von ihm«, sage ich und sehe zu Manuela hinüber. Sie dreht sich gerade zu Rolf um.
    »Aha«, sagt Armin, und die Neugierde blitzt in seinen Augen auf.
    Ich weiß, was du jetzt denkst, denke ich.
    »Dann ist da draußen«, sagt Armin langsam, als formte sich der Gedanke gerade erst jetzt Wort für Wort in seinem Kopf, »wieder eine Frau, die solo ist.« Er trinkt sein Bier aus. »Du hast nicht zufällig ihre Adresse?«, fragt er mich.
    »Nein«, sage ich, »hab ich nicht.

VOR VIELEN, VIELEN JAHREN
    Eine Altbauwohnung im vierten Stock, nicht luxussaniert, aber die Räume sind hoch, luftig und frisch gestrichen in einem hellen Gelb, die hohen Stuckdecken sind weiß abgesetzt, hier kann man sich fühlen wie in einer Packung Vanilleeis. Veganes Bio-Vanilleeis, fairtrade und biologisch abbaubar. Das Bad, das große, nicht die Gästetoilette, wird noch gekachelt, blau und weiß, aber das hat nichts damit zu tun, dass der Hausherr eine Weile in Bayern gelebt hat – es soll nur frisch aussehen. In der Küche dominiert ein leckeres Rotorange. Wir befinden uns auf einer kombinierten Einzugs-Schrägstrich-Geburtstags-Schrägstrich-Einjähriges-Schrägstrich-Verlobungs-Schrägstrich-Erfolg-im-Beruf-Schrägstrich-Festanstellungs-Party (sofern es so etwas wie Festanstellung in einem Beruf wie diesem überhaupt gibt, und unkündbar ist ja ohnehin niemand mehr). Die Wohnung ist voller Leute, alles kreist um Alexander und Ilka, die gerade zusammengezogen sind, pünktlich zum ersten Jahrestag in einer Woche, Verlobung inklusive. Ilka ist jetzt eine richtige Lehrerin, das Referendariat liegt hinter ihr, ebenso das zweite Staatsexamen, verbeamtet wurde sie auch noch, gerade so, weil gerade eine Lückewar im eigentlich herrschenden Einstellungs- und Verbeamtungsstopp. Dass Alexander Pressesprecher bei diesem großen Berliner Konzern ist, muss nicht besonders gefeiert werden, das ist er jetzt ja schon, seit er wieder in der Stadt ist – nach seinem mehrjährigen Abstecher in den Süden der Republik, wo er unter anderem den
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