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Ansichten eines Klaus - Roman

Ansichten eines Klaus - Roman

Titel: Ansichten eines Klaus - Roman
Autoren: Michael-André Werner
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sich dann bei Jenni ausgeheult.«
    Aha, Clara und Jenni kennen sich, wir kommen der Sache näher. Jetzt ist nur die Frage, wer Jenni ist.
    »Na, und von Ilka fühlte sie sich ausgenutzt, weil die sie nur zur Rettung ihres Sexlebens gebraucht hat. Missbraucht! Sie hat Ilka eine ganz schöne Szene gemacht. Vor den Kollegen.«
    »Sagt ...?«
    »Ilka! Ilka hat mir das erzählt. Clara ist dann nach Irland abgehauen. Hat wieder ihren alten Job gemacht.«
    »Welcher wäre? Callcenter?«
    »Lehrerin für Spanisch und Geschichte.«
    Lehrerin. Clara ist Lehrerin. Na, dann ist ja alles klar. Ich nicke. Und versuche mir die Szene vorzustellen, die Clara Ilka gemacht hat. Vor den Kollegen. »Du bist doch nur mit mir ins Bett gegangen, weil du dein Sexleben retten wolltest.« – »Und du hast dich mit Alexander zum Vögeln getroffen!« – »Wir haben nur geknutscht!« Und das im Lehrerzimmer. Die ganzen alten Männer in Cordhosen, Hemden und Pullover stehen mit ihren halbvollen Kaffeetassen wie vom Donner gerührt um die beiden jungen Frauen herum, mit denen sie schon längst was hätten anfangen wollen, hätten sie sich nur getraut oder müssten sie nicht diese Scheiß-Psychopharmaka nehmen, um durch den Tag zukommen, um nachts schlafen zu können, diese Scheiß-Psychopharmaka, von denen sie keinen mehr hochkriegen. Und zwischen ihnen die Kolleginnen für Deutsch-Geschichte-Erdkunde, die es schaffen, bei H&M einzukaufen und trotzdem auszusehen wie von C&A eingekleidet. Und denen steht der Mund offen, während ihre halbspanische Spanischlehrerin der jungen Kollegin – der mit dem tollen Ehemann – vorwirft, sie ausgenutzt zu haben, aber letztlich hören doch alle nur Sexleben und ficken, sehen die beiden jungen Frauen, vor allem die mit dem tollen Ehemann, der nicht mal ihr Ehemann ist. Das ist doch alles Klischee, denke ich, es gibt keine alten Lehrer mehr, es gibt nur noch junge in Jeans und T-Shirt und vollbärtig wie in den Siebzigern.
    »Und dann hat Ilka mit Alexander Schluss gemacht.«
    »Wieso? Ist doch nicht seine Schuld.«
    »Hallo?! Er hat sich mit Clara getroffen. Sie haben geknutscht.«
    »Behauptet Clara.«
    »Na und? Ist er jetzt glaubwürdiger als sie? Und dass er nichts von ihr wollte ... Er hätte das doch bestimmt so weiterlaufen lassen. Mit Ilka zusammen. Mit Clara was nebenher. Mit beiden im Bett. So hat er es doch immer gemacht.«
    Ja, so hat er es immer gemacht. Bis auf zu dritt im Bett.
    »Und jetzt haben sie sich getrennt.« Petra stellt die Tasse hin. So.
    »Ich dachte, im gegenseitigen Einverständnis?«
    »Na, was soll er schon sagen? ›Sie hat mich verlassen, weil ich schon wieder mit anderen Frauen ...‹?«
    »Ilka wollte es doch«, sage ich.
    »Sag mal, bist du aus Prinzip auf seiner Seite? Nur weil er ein Mann ist? Du kennst doch seine Geschichten.«
    »Ich bin nicht auf seiner Seite. Ich meine bloß, es war doch ursprünglich ihre Idee.«
    »Vorhin hast du noch gesagt, er hat sie manipuliert.«
    »Ja.« Ich seufze.
    Wahrscheinlich nimmt er ihr Schlussmachen sowieso nicht ernst. Nach all den anderen Malen. Ich nehme das ja auch nicht ernst. Das ist wie am 31. Dezember zu sagen: Morgen höre ich zu rauchen auf. Und die anderen nicken und denken: Jaja. – Niemand wird diese Trennung ernst nehmen. Niemand aus unserem Bekanntenkreis. Am wenigsten wahrscheinlich Alexander. Vielleicht gerade noch Ilka. In zwei Monaten sind sie wieder zusammen. Pack schlägt sich. Pack verträgt sich.
    »Was stierst du denn so vor dich hin?«, fragt Petra.
    »Ich denke nach.«
    »Ach. Worüber denn?«
    »Du hast mir gerade von der Trennung unserer Freunde erzählt. Da kann man doch mal ins Grübeln kommen.«
    »Auf einmal sind’s unsere Freunde. Und du kommst ins Grübeln.«
    »Ich muss wieder runter.«
    »Und ich muss los. Nach Hause. Gregor macht sich bestimmt schon Sorgen.« Und wie auf Befehl leuchtet ihr Handy auf und summt. Sie wirft einen Blick darauf und sagt: »Siehst du.« Sie nimmt es, wischt drauf herum, steht auf und sagt: »Danke für die Milch.« Dann stellt sie die Tasse in die Spüle.
    »Ich komme gleich mit runter«, sage ich, als ich die Wohnungstür aufziehe und Petra galant durchwinke. Ein kurzer Griff zur linken Hosentasche – Schlüssel sind da, ich zieh die Tür hinter mir zu.
    Wir trampeln das düstere Treppenhaus hinunter. Vor zwei Wochen haben sie die gelben, seit vierzig Jahren nicht mehr geputzten Glasglocken abgemacht und durch nackte 20-Watt-Birnen aus irgendeinem Vorrat ersetzt.
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