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Ansichten eines Klaus - Roman

Ansichten eines Klaus - Roman

Titel: Ansichten eines Klaus - Roman
Autoren: Michael-André Werner
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vermutlich.
    »Wer?«, frage ich.
    »Leute«, sagt er. »Irgendwelche Leute. Gentrifizierungsgegner. Die restlichen neunundneunzigProzent halt. Was weiß ich.« Er holt eine Packung Zigaretten raus, hält sie mir hin, ich schüttle den Kopf, er nimmt sich eine und steckt die Packung wieder ein. Er zündet sich die Zigarette an, zieht. Ich sehe rüber zu meiner Kneipe. Dann kucke ich mir die Schrift über der Raucherlounge an und sage: »Ich würd das so lassen.«
    Er sieht auch hoch, dann mich an, dann sagt er: »Ja, haha. Sehr lustig. Du hast doch dasselbe Problem.«
    »Nö«, sage ich mit Blick auf den Theaterklaus . »Das war schon so.«
    »Hm«, brummt er.
    »Nacht«, sage ich und gehe über das nasse Kopfsteinpflaster der Kreuzung, auf dem sich das gelbe Licht der Laternen spiegelt. Hinter mir höre ich, wie die Leiter über das Pflaster scharrt und zusammengeklappt wird.

DAMALS
    Als ich die Augen öffne, sehe ich eine weiße Gipfelkette vor hellblauem Himmel. Erstaunlich, denke ich, denn ich kann mich gar nicht erinnern, verreist zu sein. Ich bin doch gestern Abend eigentlich nur zu Petra gefahren. Wahrscheinlich schlafe ich noch. Dann entpuppt sich die Bergkette als kunstvoll zusammengeknüllte Bettdecke und der blaue Himmel dahinter als blaue Wand. Ich bin also doch bei Petra. Ich drehe mich auf den Rücken und sehe zur gelben Zimmerdecke hinauf. Blaue Wände, gelbe Decke, damit man auch im Winter fröhlich aufwacht. Petra ist offenbar schon fröhlich aufgewacht, denn neben mir suche ich sie vergebens. Wobei es Suchen nicht genau trifft – ich würde es merken, wenn sie da noch läge, so groß ist das Bett nicht. Oder sie nicht so klein. Oder beides. Außerdem höre ich sie jetzt. Irgendwo in der Wohnung. Ich blicke zu ihrem alten, hässlichen elektronischen Digitalziffernwecker, es ist kurz nach zehn, eigentlich früh für einen Sonntagmorgen, wenn man keine Kinder hat. Aber sie ist trotzdem wach. Und ich jetzt auch. Ich will noch nicht aufstehen. Ich hab nichts vor. Ich hab keine Kinder. Für die Kneipe ist heute Rolf zuständig, und da wir keinhippes Mitte-Café sind, müssen wir auch kein hippes Sonntagsfrühstücksbrunchbuffet anbieten, sondern können bis zwölf geschlossen bleiben, ich werde erst am späten Nachmittag auftauchen.
    Ich rekle mich ein bisschen, strecke mich, gähne einmal laut, vielleicht hört sie mich, wo immer sie in der Wohnung ist. Nein. Ich seufze laut, sie hört mich nicht.
    Ich drehe mich auf die Seite. Dann auf die andere. Ich sehe durch den Schlitz zwischen den Vorhängen aus dem Fenster. Blauer Himmel. Da kann ich auch die Wand anstarren. Ich drehe mich wieder auf den Rücken. Da fehlen nur noch ein paar weiße Wolken. Nein, eigentlich müsste die Decke auch blau sein mit einem riesigen gelben Kreis in der Mitte. Und am besten noch mit Strahlen und einem Gesicht, das auf einen herablacht. Ich habe schon oft hier gelegen und immer war mir, als beschäftige mich etwas, aber erst heute kann ich diesen Gedanken in Worte fassen, in ein Wort: Warum? Warum malt die Frau die Wände blau und die Decke gelb? Ich meine, Petra ist Chemikerin. Nicht Kindergärtnerin. Das hier ist kaum schlimmer als ein großer Spiegel an der Decke, in den man morgens sehen muss. Eine gelbe Decke. Meine Schlafzimmerdecke ist weiß. Gut, schattig-weiß. Die Wände sind dunkelbeige irgendwas. Nicht blau. Blau sind die Kacheln in meinem Badezimmer, da gehört blau hin, wo Wasser ist.
    Ich starre weiter an die gelbe Decke. Dann nehme ich meinen Sack in die Hand. Streichle ein bisschen an ihm herum.
    Hm.
    Auch nichts.
    Ich fahre mit der Hand langsam nach oben. Ziehe ein bisschen hierhin und dorthin. Nichts. Normalerweise reicht das, um ihn aufzuwecken.
    Ich kann nicht, wenn die Decke so gelb ist. Nachts ist es dunkel, oder ich liege oben, oder ich mache einfach die Augen zu. Aber morgens. Ich mache die Augen zu. Ziehe wieder ein bisschen hierhin und dortin ...
    Nichts. Gut, dann stehe ich eben auf. Ich werfe die Bettdecke zurück, erhebe mich und ziehe Unterhose und T-Shirt an.
    Petra finde ich in der Küche. Eigentlich wollte ich erst mal duschen gehen, aber ich muss doch mal nachsehen, was meine Freundin so macht und mit wem sie überhaupt die ganze Zeit spricht. Hat sie Besuch? So früh am Sonntagmorgen? Sollte ich mich anziehen? Ich finde sie in der Küche am Tisch sitzen, im frotteenen Bademantel. Als ich reinkomme, lächelt sie, das Telefon am Ohr, sagt: »Ja, hmhm«, und lauscht weiter der Stimme am
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