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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora
Autoren: Pandora
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Mensch mehr bin. Ich wusste, dass die Historie, die dort lag, um geordnet zu werden, nicht mehr die meine war! Ich bin keiner mehr von ihnen!« Deine Augen irrten durch den Raum. »Natürlich musst du diese Worte schon hunderttausend Mal von jungen Vampiren gehört haben! Aber siehst du, ich hoffte inbrünstig, dass Philosophie und Vernunft mir eine Brük-ke bauen würden, über die ich in beide Welten gelangen könnte. Nun, da ist keine Brücke. Sie ist verschwunden.«
    Deine Traurigkeit lag wie eine Aura um dich, leuchtete in deinen jungen Augen und in der Weichheit deines neu geschaffenen Fleisches.
    »Also weißt du es«, sagte ich. Ich hatte das nicht vor.
    Die Worte rutschten mir einfach so heraus. »Du weißt es.« Ich stieß ein leises, bitteres Lachen aus.
    »So ist es. Ich weiß es, seit ich die vielen Dokumente aus deiner Zeit in der Hand hielt, aus der Zeit des Römischen Imperiums, und andere bröckelnde Reste von in Stein geritzten Texten, bei denen ich nicht einmal die Hoffnung hatte, sie einordnen zu können. In dem Moment wusste ich es. Diese Dinge waren mir gleichgültig, Pandora. Aber mir ist nicht gleichgültig, was wir sind, was wir heute sind.«
    »Bemerkenswert«, sagte ich. »Du weißt nicht, wie sehr ich dich bewundere oder wie anziehend deine Einstellung für mich ist.«
    »Das zu hören macht mich glücklich«, sagtest du. Dann hast du dich zu mir geneigt. »Ich will damit nicht sagen, dass wir keine menschliche Seele, keine Geschichte haben; natürlich haben wir beides.
    Ich erinnere mich an das, was Armand mir einmal vor langer Zeit erzählt hat. Als er Lestat fragte: ›Wie soll ich je die menschliche Rasse verstehen?‹, antwortete Lestat:
    ›Lies alle Dramen von Shakespeare, oder schau sie dir an, und du wirst alles über die Menschen erfahren, was du je wissen musst.‹ Armand tat das. Er verschlang die Gedichte, er saß stundenlang im Theater, er sah im Kino die brillanten neuen Verfilmungen mit Laurence Fishbur-ne und Kenneth Branagh und Leonardo di Caprio. Und als wir beide zuletzt miteinander sprachen, äußerte er sich folgendermaßen über seine Erziehung:
    ›Lestat hatte Recht. Er gab mir nicht einfach Bücher, sondern er wies mir einen Weg zum Verstehen. Dieser Shakespeare schreibt – und hier zitiere ich beide, Armand und Shakespeare, wie Armand seine Verse vortrug und wie ich sie nun spreche, als kämen sie aus der Tiefe meines Herzens:

    Morgen, und morgen, und dann wieder morgen, Kriecht so mit kleinem Schritt von Tag zu Tag, Zur letzten Silb’ auf unserm Lebensblatt; Und alle unsre Gestern führten Narren Den Pfad zum staubigen Tod. Aus, kleines Licht!
    Leben ist nur ein wandelnd Schattenbild, Ein armer Komödiant, der spreizt und knirscht Sein Stündchen auf der Bühn und dann nicht mehr Vernommen wird; ein Märchen ist’s, erzählt Von einem Blödling, voller Klang und Wut, Das nichts bedeutet.

    ›Shakespeare schreibt diese Worte‹, sagte Armand zu mir, ›und wir alle wissen, dass sie unbedingt wahr sind und dass durch sie jede Offenbarung früher oder später zunichte wird, und zugleich müssen wir die Form lieben, in der Shakespeare sie gesagt hat, wir möchten die Verse wieder hören! Wir möchten uns daran erinnern! Wir möchten kein einziges Wort vergessen.‹
    Eine Weile schwiegen wir beide. Du senktest den Kopf, du ließest dein Kinn auf den Fingerknöcheln ruhen. Ich wusste, dass Armands Gang in die Sonne mit seiner ganzen Schwere auf dir lastete, und ich hatte deine Rezitation der Verse sehr gemocht, und auch die Verse selbst. Schließlich sagte ich: »Und das macht mir Freude.
    Stell dir vor: Freude. Dass du mir diese Verse jetzt rezi-tierst.«
    Du hast gelächelt.
    »Ich möchte nun wissen, was wir lernen können«, sagtest du, »ich möchte wissen, zu welchen Einsichten wir fähig sind! Deshalb komme ich zu dir, einem Kind der Jahrtausende, einem Vampir, der vom Blut der Königin Akasha trank, der zweitausend Jahre überlebt hat. Und ich bitte dich, Pandora, schreib für mich, bitte, schreib deine Geschichte auf, schreib, was du willst.«
    Es dauerte eine ganze Weile, bis ich antwortete.
    Dann sagte ich schroff, dass ich es nicht könne. Doch etwas hatte sich in mir gerührt. Ich sah und hörte Streitereien, Tiraden aus längst vergangenen Jahrhunderten, ich sah das Licht des Dichters auf die Epochen scheinen, von denen ich durch die Liebe intime Kenntnis besessen hatte. Andere Zeiten hatte ich wiederum nie kennen gelernt, weil ich unwissend, als
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