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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora
Autoren: Pandora
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so?«
    »Oder für Osiris in den Tiefen der Finsternis«, fügtest du hinzu. »Oder für die Schatten des Hades. Mit Sicherheit bin ich bereit für die Geister, für die Vampire, für die-jenigen, die in die Zukunft sehen und behaupten, schon mehrere Leben gelebt zu haben, für dich, die du in einer schönen Hülle einen erstaunlichen Intellekt besitzt, der nun schon solange Jahre existiert, einen Intellekt, der vielleicht nur dein Herz zerstört hat.«
    Ich atmete schwer.
    »Verzeih mir. Das war nicht recht von mir«, batest du.
    »Nein, erklär mir, was du damit meinst.«
    »Du nimmst dir immer das Herz deiner Opfer, ist es nicht so? Du willst das Herz.«
    »Mag sein. Erwarte keine Weisheit von mir, wie sie vielleicht von Marius oder den alten Zwillingen kommen könnte.«
    »Du ziehst mich an«, sagtest du.
    »Warum?«
    »Weil du diese Geschichte mit dir herumträgst; sie ist schon fertig formuliert und wartet nur darauf, aufge-schrieben zu werden – sie ist dort, hinter deinem Schweigen und deinem Leiden.«
    »Mein Freund, du bist zu romantisch«, sagte ich.
    Du hast geduldig gewartet. Ich glaube, du konntest den Aufruhr in mir spüren, das Beben meiner Seele angesichts so viel neuer Emotionen.
    »Es ist eine so unbedeutende Geschichte«, sagte ich.
    Ich sah Bilder vor mir, Erinnerungen, Augenblicke, all das, was eine Seele zum Handeln, zum schöpferischen Akt bewegen kann. Ich sah eine winzige Möglichkeit, Vertrauen zu schöpfen.
    Ich glaube, du kanntest die Antwort schon.
    Du wusstest, was ich tun würde, als es mir noch nicht klar war. Du hast zwar taktvoll gelächelt, aber ungeduldig gewartet.
    Ich sah dich an und überlegte, ob ich versuchen sollte zu schreiben, alles aus mir herauszuschreiben …
    »Du möchtest wohl, dass ich dich jetzt allein lasse?«, fragtest du. Du erhobst dich, nahmst deinen regenfeuch-ten Mantel an dich und beugtest dich galant zum Kuss über meine Hand.
    Ich umklammerte die Notizbücher.
    »Nein«, sagte ich, »ich kann es nicht.«
    Du zeigtest keine unmittelbare Reaktion.
    »Komm übermorgen Abend wieder«, sagte ich. »Ich verspreche dir, du wirst deine Notizbücher wiederbe-kommen, selbst wenn sie leer bleiben sollten oder nur eine bessere Erklärung enthalten, warum ich mein vergeudetes Leben nicht zurückholen kann. Ich werde dich nicht enttäuschen. Aber erwarte nicht mehr, als dass ich hier sein und dir die Bücher wieder überreichen werde.«
    »Übermorgen«, sagtest du, »und wir werden uns hier treffen.«
    Stumm beobachtete ich, wie du das Café verließest.
    Und nun siehst du, David, es hat begonnen.

    Du siehst, David, dass ich unsere Begegnung zur Ein-leitung der Geschichte gemacht habe, die aufzuschrei-ben du mich batest.

    2

    Pandoras Geschichte

    Ich wurde in Rom während der Regierungszeit des Kaisers Augustus, nach eurer heutigen Zeitrechnung im Jahre 15 vor Christi Geburt, geboren.
    Die römische Geschichte und auch die römischen Namen, die ich hier anführe, sind authentisch. Ich habe sie nicht verfälscht oder mir Geschichten ausgedacht oder politische Ereignisse erfunden. Alles hat Auswirkungen auf mein eigentliches Schicksal und ebenso auf das von Marius. Nichts habe ich nur aus Liebe zuden vergangenen Zeiten einbezogen.
    Meinen Familiennamen habe ich ausgelassen, und zwar deswegen, weil meine Familie eine Geschichte hat und ich es nicht über mich bringe, ihren uralten guten Ruf, ihre Taten, ihre Grabinschriften mit dieser Erzählung zuverquicken. Als Marius sich Lestat anvertraute, verschwieg auch er seinen vollen römischen Familiennamen. Das respektiere ich, also wird er ebenfalls hier nicht enthüllt.
    Zu jener Zeit war Augustus schon mehr als zehn Jahre Kaiser, und es war eine großartige Epoche, wenn man als gebildete Frau in Rom lebte, denn Frauen verfügten über eine enorme Freiheit. Und ich hatte noch dazu einen reichen Senator zum Vater und fünf vom Erfolg be-günstigte Brüder. Ich wuchs ohne Mutter auf, jedoch ge-hätschelt von diversen griechischen Hauslehrern und Kinderfrauen, die mir jeden Wunsch erfüllten.
    Also wenn ich es wirklich darauf anlegte, David, das hier für dich schwierig zu gestalten, dann schriebe ich jetzt in klassischem Latein. Aber das will ich nicht. Doch ich muss gestehen, dass ich im Gegensatz zu dir keinen systematischen Unterricht in der englischen Sprache genossen habe, und ganz bestimmt habe ich sie nicht an-hand von Shakespeares Stücken gelernt. Ich habe durchaus viele Ebenen der englischen Sprache auf meinen
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