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Anne in Kingsport

Titel: Anne in Kingsport
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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schluchzte Anne und glaubte, dass es ihr Ernst war.

39 - Heiratsangelegenheiten
    Anne fand das Leben in jenen ersten Wochen nach ihrer Rückkehr nach Green Gables im Vergleich zu früher viel langweiliger. Sie vermisste die fröhliche Kameradschaft, wie sie in Pattys Haus geherrscht hatte. Noch im letzten Winter hatte sie hochfliegende Träume gehabt, jetzt lagen sie in Schutt und Asche. Vor lauter Selbstverachtung konnte sie nicht einmal mehr träumen.
    Seit der schmerzlichen Trennung im Pavillon hatte sie Roy nicht wieder gesehen.
    Aber Dorothy hatte sie vor ihrer Abreise aus Kingsport noch einmal besucht.
    »Ich finde es furchtbar schade, dass Sie Roy nicht heiraten«, sagte sie. »Ich hätte Sie mir so zur Schwägerin gewünscht. Aber Sie hatten schon Recht. Er würde Sie zu Tode langweilen. Ich mag ihn, er ist ein lieber netter Kerl, aber interessant ist er nicht die Spur. Er sieht zwar interessant aus, ist es aber nicht.«
    »Aber wir bleiben doch auch weiterhin befreundet, nicht wahr, Dorothy?«, bat Anne inständig.
    »Ja, ganz bestimmt. Ich möchte Sie nicht verlieren. Wenn Sie schon nicht meine Schwägerin werden, dann sollen Sie wenigstens meine Freundin bleiben. Und machen Sie sich keine Gedanken wegen Roy. Im Augenblick geht es ihm schlecht -jeden Tag heult er mir die Ohren voll -, aber er wird schon darüber wegkommen. Das war jedes Mal so bei ihm.«
    »Aha - jedes Mal?«, sagte Anne mit leicht veränderter Stimme. »Dann ist er schon öfter >darüber hinweggekommen    »Liebe Zeit, ja«, sagte Dorothy offen. »Schon zweimal. Beide Male hat er sich bei mir ausgeheult. Nicht dass sie ihn nicht nett fanden, aber heiraten wollten sie ihn eben nicht. Als er Sie kennen lernte, hat er mir natürlich ausdrücklich erklärt, dass er vorher nie richtig verliebt gewesen wäre - es wäre alles nichts weiter als Geplänkel gewesen. Aber ich meine, Sie brauchen sich darüber keine Gedanken zu machen.«
    Zu dem Entschluss kam Anne dann auch. Sie war erleichtert und ärgerlich zugleich.
    Roy hatte ihr natürlich versichert, sie wäre die Einzige, die er 212 je geliebt hätte. Er glaubte das auch wirklich. Aber es war ein großer Trost, dass sie nicht sein Leben ruiniert hatte. Es gab andere Verehrerinnen und Roy schien, laut Dorothy jedenfalls, das zu brauchen. Dennoch war sie wieder mal einiger Illusionen beraubt. Anne fand das Leben ziemlich fade.
    Am Abend nach ihrer Rückkehr kam sie mit traurigem Gesicht aus dem Ostgiebel.
    »Was ist denn mit der alten Schneekönigin passiert, Marilla?«
    »Oh, ich ahnte schon, dass es dich traurig machen würde«, sagte Marilla. »Mir ging es genauso. Der Baum hat schon dort gestanden, als ich noch ein kleines Mädchen war. Er wurde in dem schlimmen Sturm im März umgeweht. Er war ganz morsch.«
    »Er fehlt mir«, sagte Anne traurig. »Ohne ihn ist es im Ostgiebel nicht mehr wie früher. Jedes Mal, wenn ich aus dem Fenster schaue, habe ich das Gefühl, es fehlt etwas. Außerdem war sonst auch immer Diana da, wenn ich nach Hause kam.«
    »Diana hat jetzt andere Sachen im Kopf«, sagte Mrs Lynde bedeutungsvoll.
    »Was gibt es denn alles Neues in Avonlea?«, sagte Anne und setzte sich auf die Verandastufen, wo der Schein der Abendsonne auf ihr Haar fiel.
    »Außer dem, was wir dir schon geschrieben haben, gibt es nicht viel Neues«, sagte Mrs Lynde.
    »Du hast Anne noch gar nicht die Neuigkeit über Jane berichtet«, sagte Marilla.
    »Ach ja, Jane«, schnaubte Mrs Lynde. »Also«, sagte sie widerwillig. »Jane Andrews ist aus den Weststaaten zurück - seit letzter Woche - und heiratet einen Millionär aus Winnipeg. Ich kann dir sagen, Mrs Harmon lässt keine Gelegenheit aus und erzählt es jedem.«
    »Die liebe Jane - das freut mich aber für sie«, sage Anne herzlich. »Ich gönne es ihr.«
    »Oh, ich will ja nichts gegen Jane sagen. Sie ist schon ganz nett. Aber sie kommt nicht aus Millionärskreisen und außer dem Geld spricht nichts für den Mann. Mrs Harmon hat erzählt, er wäre Engländer und hätte sein Geld mit Minen gemacht. Aber ich bleibe dabei, dass er ein Yankee ist. Er muss wirklich einen Haufen Geld haben, denn er hat Jane mit Schmuck regelrecht überschüttet. Zur Hochzeit bekommt sie einen riesigen Klunker, der an Janes Pranke aussieht wie ein Stück Stuck.«
    Mrs Lynde konnte einen bitteren Unterton nicht unterdrücken. Da war Jane Andrews, dies schlichte Gemüt, und heiratete einen Millionär, während Anne allem Anschein nach noch keinem versprochen war,
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