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Anna, die Schule und der liebe Gott

Anna, die Schule und der liebe Gott

Titel: Anna, die Schule und der liebe Gott
Autoren: Richard David Precht
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Befindlichkeiten, aus Staatsraison anschließt?
    Die große Blockade
    Die erste Voraussetzung, um überhaupt so handeln zu können, wäre, eine der größten Dummheiten des Föderalismus abzuschaffen, nämlich das bei der letzten Reform 2006 erlassene sogenannte » Kooperationsverbot « . Danach hat die Bundesregierung bei Fragen der Schulpolitik nichts mehr zu suchen, geschweige denn etwas zu bestimmen. Ein unhaltbarer Zustand mit üblen Folgen.
    Man sollte sich erinnern, dass auch der Bildungsföderalismus in Deutschland kein unveränderliches Naturgesetz ist, sondern von Menschen beschlossen wurde, genauer: von den Alliierten auf der Konferenz von Jalta 1945. Das gemeinsame Ziel der Siegermächte in Jalta war es, für die Zukunft zu verhindern, dass eine Ideologie wie der Nationalsozialismus sich erneut in Deutschland ausbreiten konnte. Zu diesem Zweck wurden schließlich vier wichtige Felder der Politik zur Sache der Bundesländer, nämlich Polizei, Medien, Kirche und Schulen. Alle vier Hoheiten besitzen die Bundesländer bis heute, mit höchst unterschiedlichen Auswirkungen.
    Was die Bildung anbelangt, so ist Deutschland gegenwärtig von einer radikalen Ideologie so weit entfernt wie noch nie in seiner Geschichte. Der historische Grund, warum Bildung (mit Ausnahme von Forschungsinstituten) Ländersache sein soll, ist damit hinfällig geworden. Oder anders gesagt: Er hat sich heute völlig überlebt. Aus diesem Grund ist es an der Zeit, einmal neutral Bilanz zu ziehen, ob der Bildungsföderalismus, so wie wir ihn kennen, eher förderlich oder hinderlich für die Bildungspolitik ist, und entsprechend noch einmal neu darüber nachzudenken.
    Was also ist die Lage? Der Bildungsredakteur Martin Spiewak bilanziert dazu in der Zeit: » Der deutsche Bildungsföderalismus hat eine zerklüftete Schullandschaft geschaffen, die weltweit ihresgleichen sucht: mit 16 unterschiedlichen Schulsystemen, Lehrplänen und Versetzungsordnungen. Anfang des Jahrhunderts hatte der PISA -Schock die Kultusminister für kurze Zeit zusammengeschweißt. Getrieben von der Öffentlichkeit und dem Bund, verständigten sie sich auf Lernziele in den Kernfächern, sogenannte Bildungsstandards. Doch seit die KMK (Kultusministerkonferenz) die Alleinzuständigkeit für die Schulen übernommen hat, ist der Druck weg – und jedes Interesse an einer gemeinsamen Bildungspolitik verflogen. Nach der Verfassungsänderung hat das Gremium nicht eine größere gemeinsame Reforminitiative auf den Weg gebracht. Ein selten drastischer Fall politischen Organversagens. « 141
    Das Urteil vieler Bildungsexperten zielt in die gleiche Richtung. Deutschland, so das allgemeine Urteil, kann sich die Kleinstaaterei in der Schulpolitik nicht länger leisten. » Das Denken eines Kultusministers « , schreibt Spiewak weiter, » endet an der Landesgrenze. In diesem Rahmen können manche Ressortpolitiker durchaus eine beachtliche politische Bilanz vorweisen. Für eine nationale Bildungsstrategie jedoch fehlen den Ländern der Wille, das Geld und die Strukturen. Ein Kollektivgremium wie die KMK , das bei wichtigen Fragen Einstimmigkeit verlangt und dessen Präsident turnusmäßig jedes Jahr wechselt, taugt per se nicht als Reformmotor. Schon das Sammeln und Aufbereiten bundesweiter Daten überfordert das Gremium. Wer etwa wissen will, wie es um den Ausbau der Ganztagsschulen oder die Bildungsqualität der Kitas steht, ruft nicht bei der KMK in Bonn an, sondern bei der privaten Bertelsmann Stiftung in Gütersloh. Und liegen interessante Informationen einmal vor, werden sie systematisch zurückgehalten. Wollen Wissenschaftler mit Länderdaten arbeiten, müssen sie sich schriftlich und unter Androhung einer Geldstrafe verpflichten, keine Zahlen zu veröffentlichen, die einen Vergleich zwischen einzelnen Bundesländern zulassen. «
    Ein solcher Zustand ist schon lange unhaltbar. Doch wie soll man Kultus- und Bildungsminister in den Ländern dazu bringen, auf einen Teil ihrer Kompetenzen zu verzichten? » Es ist schwer, jemanden dazu zu bringen, etwas zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängt, es nicht zu verstehen « , meinte einst der US -amerikanische Schriftsteller Upton Sinclair über seine Erfahrungen in der Politik. Im gleichen Sinne lässt sich über die Bildungsminister der Länder sagen, dass sie keine Lust und keine Bereitschaft dazu haben, etwas einzusehen, was ihre Kompetenzen beschneidet und ihre Rolle kleiner macht. Wer gibt schon gerne Macht aus der Hand? Selbst
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