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Anna, die Schule und der liebe Gott

Anna, die Schule und der liebe Gott

Titel: Anna, die Schule und der liebe Gott
Autoren: Richard David Precht
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Lehrpläne mehr, die die Schullektüre vorschreiben oder die altersgemäße Ballsportart, keine Einmischung mehr von außen, wie das Kollegium zusammengestellt wird, kein Befördern nach Dienstjahren, keine kommerzielle Nachmittagsbetreuung durch Verbände oder Vereine. Unter der Bedingung von Transparenz und Standards müssen die Schulen ihre Schulkultur nach eigenen Vorstellungen gestalten und entfalten dürfen. Statt Zentralisierung und Bürokratie brauchen wir mehr kreativen Wettbewerb der Schulen untereinander.
    Damit dieser gelingen kann, müssen Schulen von ihren Städten und Gemeinden wesentlich besser unterstützt werden als bisher. Die Hoffnung, dass dies gelingt, ist groß. Denn was für ein Unterschied, ob ein Schulleiter nun dem Bürgermeister untersteht statt einem weit entfernten Kultusminister, den er möglicherweise nie zu Gesicht bekommt! Die Schulen in der Stadt müssen wirklich die Schulen der Stadt werden. Die Städte sollen sich mit ihren Schulen identifizieren können und die Schulen umgekehrt mit den Städten. Das Ziel wäre eine vernetzte Bildungslandschaft innerhalb einer Stadt oder Region. So wäre es eine Aufgabe der Städte, dafür zu sorgen, dass die Abenteuerprojekte des achten Schuljahrs auch tatsächlich irgendwo einen Ort haben und Raum finden. Alle dafür Verantwortlichen sollten tatsächlich gemeinsam Verantwortung für das Gelingen übernehmen.
    Zu denjenigen, denen ihre Schulen und Schulkinder am Herzen liegen, sollten aber nicht nur gewählte Volksvertreter oder Verwaltungsangestellte gehören, sondern so viele Bürger wie möglich. Das gilt für den Privateigentümer, der der Schule Land oder einen Kotten kostenlos für ein Abenteuerprojektjahr zur Verfügung stellt, wie für den ehrenamtlich tätigen Bürger, der seine Fähigkeiten in den Dienst von Coaching und Hilfe für lernschwache Schüler stellt.
    Das spezielle Coaching für lernschwache Kinder lässt sich grundsätzlich auf drei Säulen stellen. Die erste Säule besteht aus professionellen Coaches in Form von Lernpsychologen oder Sozialarbeitern. Die zweite Säule wären Pädagogik-Studenten, die alle im Laufe ihres Studiums Kinder coachen müssen als integraler Bestandteil eines praxisbezogenen Studiums. Und die dritte Säule setzt sich aus sozial engagierten Bürgern zusammen, die es als ihre Bürgerpflicht ansehen, sich einzubringen. Dies können sowohl Einzelpersonen sein wie auch Betriebe, die es ihren Auszubildenden zur Pflicht machen, sich sozial in der Schule zu betätigen, um Marlon, Chantal und Ahmed auf die Füße zu helfen.
    Der Effekt ist, ähnlich wie bei Teach First, ein wechselseitiger. Den Kindern hilft diese persönliche und intensive Betreuung im Normalfall ganz entscheidend weiter. Und der coachende Bürger macht die schöne Erfahrung, etwas Sinnvolles zu tun, jemandem zu helfen, der einem möglicherweise schnell ans Herz wächst. Es gibt in Deutschland viele regionale, aber auch bundesweite Initiativen und Organisationen, die einem angehenden Mentor, Lesepaten oder Mathe-Coach dabei helfen, sich mit Gleichgesinnten zusammenzutun und in die Schulen zu gehen. Wenn wir das Problem all der Kinder lösen wollen, denen ihr Elternhaus nicht jene Unterstützung gibt, die sie brauchen, um sich in unserer Gesellschaft zurechtzufinden und durchzusetzen – so sollten wir alle dies als unsere Angelegenheit betrachten und nicht nur als eine Sache der Schulen und Bildungspolitiker.
    Revolution oder Transformation?
    Es mag den einen oder anderen Leser geben, der vielen Gedanken in diesem Buch zustimmt, aber das Wort » Bildungsrevolution « scheut. Klingt das nicht viel zu radikal, zu frech, so sehr nach Krawall? Reicht es denn nicht aus, wenn das Wort » Reform « schon zu schwach ist, von einer Bildungstransformation zu sprechen?
    Ich möchte diesen Einwand gern mit zwei Argumenten abschwächen. Zunächst einmal ist das Wort » Revolution « nicht zwangsläufig gleichzusetzen mit Blutvergießen und gewalttätigem Umsturz. Die vielzitierte » friedliche Revolution « 1989 kam ganz ohne beides aus. Und selbst Konservative freuen sich in diesem Kontext am Begriff » Revolution « . Zudem gibt es Revolutionen in der Menschheitsgeschichte, bei denen es ebenso wenig nötig war, jemanden zu » stürzen « wie heute bei der Bildungsrevolution. Revolutionen vollziehen sich oft friedlich und ohne nennenswerte Krawalle. Man denke nur an die sexuelle Revolution der sechziger und siebziger Jahre oder an die digitale
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