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Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)

Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)

Titel: Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)
Autoren: Paul Watzlawick
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»wirklich« zu machen, ist die Rolle, die er selbst spielen will , um seine eigene »Wirklichkeit« herzustellen. Der erste Eindruck ist der eines perfekten Arrangements, nicht wahr? Bemerken Sie bitte aber, daß es, um weiterhin perfekt zu sein, sich absolut nicht ändern darf. Doch schon Ovid schrieb in seinen Metamorphosen : Nichts in der Welt hat Bestand, und immer folgt Ebbe den Fluten. Auf die Kollusion angewendet heißt das, daß Kinder die fatale Neigung haben, aufzuwachsen; Patienten, zu gesunden; und daß damit auf das Hochgefühl des »Stimmens« der Beziehung bald die Ebbe der Ernüchterung folgt und mit ihr der verzweifelte Versuch, dem anderen das Ausbrechen unmöglich zu machen. Auch hierzu Sartre [19, S. 467]:
     
»Während ich versuche, mich vom Zugriff des Anderen zu befreien, versucht der Andere, sich von meinem zu befreien; während ich danach strebe, den Anderen zu unterwerfen, strebt der Andere danach, mich zu unterwerfen. Es handelt sich hier keineswegs um einseitige Verbindungen mit einem Objekt-ansich, sondern um gegenseitige und störende Beziehungen.«
     
    Da jede Kollusion notwendigerweise voraussetzt, daß der andere von sich aus genauso sein muß, wie ich ihn will , mündet sie unweigerlich in eine »Sei spontan!«-Paradoxie.
    2. Diese Fatalität wird noch offensichtlicher, wenn wir uns den anderen Grund besehen, der einen Partner zum Spielen der für unser Gefühl der »Wirklichkeit« notwendigen Rolle veranlassen kann, nämlich eine der Mühe dieser Akrobatik angemessene Entschädigung. Als Beispiel dafür kommt einem sofort die Prostitution in den Sinn. Der Kunde wünscht sich natürlich, daß die Frau sich ihm nicht nur der Bezahlung wegen hingebe, sondern auch, weil sie es »wirklich « will. (Sie sehen, wie dieser wunderbare Begriff »wirklich« immer wieder hereinspielt.) Es hat den Anschein, daß die begabte Kurtisane es recht gut fertigbringt, diese Illusion zu erwekken und zu erhalten. Bei den weniger talentierten Praktikantinnen kommt es genau an diesem Punkte zur Ernüchterung des Klienten. Dieser Katzenjammer ist jedoch keineswegs auf die Prostitution im engeren Sinne beschränkt; er hat die fatale Neigung, überall dort aufzutreten, wo kollusive Elemente in eine Beziehung hereinspielen. Ein Sadist – so lautet das bekannte Bonmot – ist jemand, der lieb zu einem Masochisten ist. Das Problem vieler homosexueller Beziehungen besteht darin, daß die Betreffenden sich nach einer Beziehung mit einem »wirklichen « Mann sehnen, leider aber feststellen müssen, daß der andere selbst »nur« ein Homosexueller ist.
    In seinem Bühnenstück Der Balkon zeichnet Jean Genet [4] ein meisterhaftes Bild dieser kollusiven Welt. Madame Irma ist Leiterin eines Superbordells, in dem die Kunden – selbstverständlich gegen Bezahlung – die Verkörperung ihrer Komplementärrollen mieten können. An einer Stelle zählt Madame einige ihrer Kunden auf. Darunter sind: zwei Könige von Frankreich, mit Krönungsfeierlichkeiten und verschiedenen Ritualen; ein Admiral auf der Brücke seines untergehenden Zerstörers; ein Bischof im Zustande fortwährender Anbetung; ein Richter, der richtet; ein General im Sattel; ein heiliger Sebastian; Christus in Person. (Und all dies, während in der Stadt die Revolution tobt und die nördlichen Stadtbezirke bereits gefallen sind.) Trotz guter Organisation seitens Madame Irmas kommt es aber immer wieder zu ernüchternden Pannen, weil sich auch beim besten Willen die Tatsache nicht vertuschen läßt, daß das Ganze ein bezahltes Spiel ist, und weil außerdem die gemieteten Partner ihre Rollen oft nicht ganz so spielen können oder wollen, wie der Kunde es sich zum Erleben der eigenen »Wirklichkeit« erträumt. So sagt zum Beispiel der »Richter« zur »Diebin «:
     
»Mein Richter-Sein ist eine Emanation deines Diebin-Seins. Du brauchtest dich nur zu weigern … aber ich rate es dir nicht!… dich zu weigern, die zu sein, die du bist – das, was du bist, daher wer du bist – und ich höre auf, zu sein … verschwinde, verdunste. Krepiere. Vernichtet. Verneint… Und dann? Und dann? Aber du wirst dich nicht weigern, nicht wahr? Du wirst dich nicht weigern, eine Diebin zu sein? Das wäre schlecht! Das wäre verbrecherisch! Du würdest mich meines Seins berauben! (Bettelnd.) Sag, meine Kleine, meine Liebe, du wirst dich nicht weigern?
DIEBIN (kokett): Wer weiß?
RICHTER : Was? Was sagst du? Du würdest dich weigern?… Sag mir nochmals,
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