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Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)

Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)

Titel: Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)
Autoren: Paul Watzlawick
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was hast du gestohlen?
DIEBEN (trocken, sich aufrichtend): Nein.
RICHTER : Sag mir, wo? Sei nicht so grausam …
DIEBEN : Duzen Sie mich nicht, wenn ich bitten darf.
RICHTER : Mein Fräulein… meine Dame. Ich bitte Sie. (Wirft sich auf die Knie.) Sehen Sie, ich flehe Sie an? Sie werden mich doch nicht in dieser Stellung darauf warten lassen, ein Richter zu sein? Wenn es keinen Richter gibt, wo kämen wir da schon hin, aber wenn es keine Diebe gäbe?«
     
    Das Stück endet mit einer Ansprache Madame Irmas an das Publikum, am Abschluß ihres harten Arbeitstages, oder genauer gesagt, ihrer harten Arbeitsnacht: »Sie müssen nun heimgehen; nach Hause, wo alles – dessen können Sie ganz sicher sein – noch künstlicher ist als hier.« Und als sie das letzte Licht löscht: »Bitte, die Ausgänge sind rechts.« (Hinter der Bühne der Feuerstoß eines Maschinengewehrs.) 7

Diese verrückten
Ausländer  
     
     
    W ie die meisten bitteren Wahrheiten dürfte Madame Irmas Schlußbemerkung ihr nicht viel Sympathie eintragen. Wir haben es nicht gerne, wenn uns jemand an die Verlogenheit unserer eigenen Welt erinnert. Unsere Welt ist die wahre Welt; verrückt, verlogen, illusorisch, verschroben sind die Welten der anderen . Und daraus läßt sich für unser Thema sehr viel Kapital schlagen.
    Keine Angst, es liegt nicht in meiner Absicht (und schon gar nicht meiner Zuständigkeit), mit weisenWorten an der Debatte darüber teilzunehmen, wie und warum es zu solchen Spannungen zwischen den Bürgern und den fremdländischen Minderheiten eines Landes kommt. Das Problem ist weltweit: Mexikaner, Vietnamesen oder Haitianer in den USA, Nordafrikaner in Frankreich, Inder in Afrika, die Italiener in der Schweiz, die Türken in der Bundesrepublik, von den Problemen der Palästinenser, Armenier, Drusen und Schiiten ganz zu schweigen – die Liste wäre endlos.
    Nein, zur persönlichen Entrüstung über den Ausländer und zu seiner Ablehnung genügen rein persönliche Kontakte oder sogar ganz unmittelbare Beobachtungen; sei es im eigenen Lande, sei es im Ausland. Rülpsen nach der Mahlzeit galt einst als Kompliment für gutes Essen; heute nicht mehr, das hat sich inzwischen herumgesprochen. Weniger bekannt ist es vielleicht, daß gelegentliches Schmatzen und hörbares Einholen der Luft durch die Zähne bei den Japanern auch heute noch diese höfliche Bedeutung hat. Oder wissen Sie, daß Sie sich in Zentralamerika äußerst unbeliebt machen können, wenn Sie die Größe einer Person durch die dem Europäer selbstverständliche Geste (die waagerecht gehaltene Hand) andeuten? Nur die Höhe von Tieren darf dort so angezeigt werden.
    Und da wir gerade bei Lateinamerika sind: Der Latin Lover als Prachtexemplar von Männlichkeit ist Ihnen sicher auch dann bekannt, wenn Sie selbst nicht dem anglo-amerikanischen Sprachraum angehören. Dort nämlich treibt er sein hauptsächliches Unwesen. Im Grunde ist er eine liebenswürdige, harmlose Erscheinung, und seine Rolle ist vollkommen auf die auch heute noch weitgehend sehr strikte Gesellschaftsordnung Lateinamerikas abgestimmt. Da dort nämlich in der sogenannten besseren Gesellschaft (wenigstens offiziell) irgendwelchen Eskapaden sehr enge Grenzen gesetzt sind, kann sich der Latin Lover jenes leidenschaftlich schmachtende Benehmen leisten, das die perfekte Entsprechung zum feurigen, sinnlichkeitstriefenden, aber zu keinerlei Konzessionen bereiten Verhalten der bildschönen Latinas bildet. Kein Wunder daher, wenn lateinamerikanische Volkslieder (allen voran die wahrhaft nostalgisch schönen Boleros ) seit eh und je den Schmerz der unerfüllten, unerreichbaren Liebe, die unwiderrufliche Trennung kurz vor der Erfüllung oder die tränenerstickte Herrlichkeit der última noche (der ersten und unweigerlich letzten Nacht) in der romantischsten Weise verherrlichen. Nach Anhören einer genügend großen Zahl solcher Lieder fragt sich der Ausländer aber doch langsam, ob das alles sein soll. Die Antwort: Im Grunde ja.
    Exportieren wir den Latin Lover nun aber nach den USA oder Skandinavien, so ist für Beziehungsprobleme reichlich gesorgt. Er wird die dortigen Schönen routinemäßig weiter beschmachten und bestürmen, jene aber haben ganz andere Spielregeln – nämlich viel freiere, und sie werden ihn daher ernst nehmen. Darauf aber ist er nicht vorbereitet, denn nach den Regeln seiner Kunst haben sie ihn ja abzuweisen oder auf die Hochzeitsnacht zu vertrösten. Die enttäuschenden Komplikationen
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