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Animus

Animus

Titel: Animus
Autoren: Marina Heib
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Haben Sie Hemingway gelesen? Einer seiner Trinker könnte hier gestrandet sein und sich mit dem Rumglas in der Hand an einem vernarbten Holztisch am gefühlten Ende der Welt sitzend betrunken haben. Quepos wird vom Tourismus inzwischen vollständig ignoriert. Auch wenn die Einheimischen das nicht wahrhaben wollen. Vor den Souvenirläden baumeln bunte Tücher im Wind, geschnitzte Affen und Krokodile sind von einer dicken Staubschicht bedeckt. Keine Besucher. Dennoch öffnen die Leute hier jeden Tag in aller Gemütsruhe ihre Geschäfte, sitzen auf Stühlen davor und unterhalten sich gut gelaunt über die Straße hinweg. Abends riecht es in den Gassen nach gebratenem Fisch.
    Wir wohnen außerhalb in einem kleinen Haus direkt neben Marc, Evelyn und ihren Eltern. Erykah hat sich in Quepos eine Wohnung gemietet. Sie pflegt dort ein heimliches Techtelmechtel mit der Frau eines Fischers. Wenn das auffliegt, ist der Teufel los.
    Es ist übrigens gut möglich, dass wir alle weiterziehen nach Neuseeland. Für Charlie und Caroline wären die Arbeitsbedingungen dort besser. Auch Erykah, Ev und ich würden leichter einen Job finden. Hier ist es schwierig, Geld zu verdienen. Meine Ersparnisse, an die ich mit Marchs Hilfe dann doch noch herankam, schrumpfen langsam. Ev ist es egal, wo wir sind, Hauptsache, sie ist mit ihrer Familie zusammen. Marc möchte seine Lehrtätigkeit wieder aufnehmen. Und auch Lucy hat große Lust auf Neuseeland. Wussten Sie, dass sie Philosophie und Ethnologie studiert hat? Vielleicht kann sie wie Marc an der Uni arbeiten. Die einzige Bedingung, die Lucy für einen Umzug nach Neuseeland stellt, ist, dass wir den kleinen Magnolienbaum mitnehmen, den sie direkt nach unserer Ankunft hier gepflanzt hat.
    Ich mache mir immer noch Sorgen um Lucy. Sie geht jeden Tag allein zu den Stränden und schwimmt stundenlang im Meer. Sie spricht sehr wenig. Vor Kurzem hat sie sich mit einem Äffchen angefreundet, das nun regelmäßig zu unserem Haus kommt. Sie füttert es mit Bananen und redet: von Katya, vom Tod und von dem Leben, das ist wie eine endlose Nacht. Wenigstens redet sie mit dem Affen. Ich habe den Eindruck, je mehr Lucy mit dem Affen redet, desto öfter kommt er und frisst meine Bananenernte auf.
    Leider weigert Lucy sich immer noch, das neue Serum von Ihnen zu spritzen. Erykah nimmt es schon die ganze Zeit und fühlt sich prächtig. Keine Anzeichen für drohenden Synapsenkollaps. Baut Ihr Serum das im Körper angelagerte C15 gänzlich ab, oder verhindert es nur den Kollaps? Jedenfalls wäre ich froh, wenn Lucy das Serum nehmen würde. Die ersten Monate hatte ich das Gefühl, dass sie es nicht nimmt, weil sie sterben will. Ich glaube, sie ist überzeugt davon, dass sie Buße tun muss. Sie weigert sich, darüber zu reden. Aber ich schöpfe Hoffnung. In letzter Zeit lächelt sie öfter. Sie wirkt leichter, fröhlicher. Einmal habe ich beobachtet, wie sie das Serum aus dem Kühlschrank nahm und lange betrachtete. Dann legte sie es vorsichtig zurück in die Schachtel. Ich hoffe, sie freundet sich langsam mit dem Gedanken ans Weiterleben an. Mit einem Leben im Licht.
    So, lieber Professor, ich muss noch unsere Avocados ernten und die Hühner füttern. Außerdem will ich mit Marc und Ev ein kleines Büfett herrichten, bevor Lucy vom Strand kommt. Erykah hat heute Geburtstag. Wir feiern alle zusammen in unserem Garten. Wir werden natürlich unsere Gläser auch auf Sie erheben!
    Ich hoffe, wir hören bald wieder voneinander. Passen Sie auf sich auf, Professor.
    Ihr Pete

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