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Animus

Animus

Titel: Animus
Autoren: Marina Heib
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unterbrochen. Ich packte unterdessen meine Unterlagen für die Sitzung zusammen und hörte nur mit einem Ohr hin.
    »… auch dass die Ordnungskräfte trotz unermüdlichen Einsatzes keine verwertbaren Spuren finden konnten, gehört bedauerlicherweise zu unseren Standardmeldungen. In Los Angeles sieht die Bilanz des heutigen Tages – nur Zyniker reden vom Body Count – etwas besser aus: Bei den Gang Wars sind nur drei Tote zu vermelden. Besorgniserregend finden die Stadtväter von Los Angeles allerdings, dass sich das Krebsgeschwür Inglewood wie eine Wanderdüne ausdehnt. Damit steigt auch täglich die Kriminalitätsrate in den angrenzenden Gebieten. Auf der positiven Seite bleibt zu verbuchen, dass der Attentäter, dessen Anschlag auf den Bürgermeister von Los Angeles letzte Woche vereitelt werden konnte, gefasst und von einem Schnellgericht zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde. Was hast du denn noch zu melden, Marilyn?«
    »Oh, jede Menge, John, haha, das wirst du sehen, wenn wir heute Abend zu Hause sind. Aber Scherz beiseite, es geht dramatisch weiter: In Wisconsin wurde eine Zugbrücke in die Luft gesprengt, wobei zwölf Menschen ihr Leben ließen. In diesem Fall liegt noch kein Bekennerschreiben vor. In Insiderkreisen wird jedoch spekuliert, dass es sich bei der Tat um das empörende Gebaren gesellschaftsfeindlicher Jugendlicher handelt. Die wenig professionelle Ausführung des Anschlags deutet nach Aussage der Sachverständigen vor Ort darauf hin. Wohin, John, wird das alles noch führen?«
    »Der immense Anstieg terroristischer Übergriffe ist höchst besorgniserregend. Aber unsere Regierung steht wie ein Mann gegen diese Bedrohungen. Pamela Mitchum, die WCRK-Korrespondentin in Washington, kann aus erster Quelle versichern, dass der Präsident plant, innerhalb kürzester Frist einen neuen Maßnahmenkatalog gegen die terroristischen Gruppen erstellen zu lassen, dem es weder an Härte noch an Durchschlagskraft mangeln wird. Bleiben Sie dran, nach der Werbung geht’s weiter.«
    Ich schaltete den Bildschirm aus, nahm meine Beine vom Bürotisch und erhob mich aus meinem Ledersessel. Mir blieben noch zehn Minuten. Dann musste ich mit meinem Dienstwagen die kurze Strecke rüber zum Weißen Haus fahren, um an der Konferenz zum Projekt ›Cassandra‹ teilzunehmen. Zeit für eine Zigarette. Ich ging zum Bücherregal, griff hinter meine antiquierten Lexika, nahm eine Kippe und das Feuerzeug aus der dort versteckten Schachtel, schloss die Tür ab und schaltete die Klimaanlage höher. Ich fand es zwar unwürdig, mich zum Rauchen im Büro einzuschließen wie zu unmündigen Teenagerzeiten in der Schultoilette, aber noch mehr nervte mich, wenn einer meiner Kollegen plötzlich hereinplatzte und mich mit hochgezogenen Augenbrauen und missbilligendem Blick zum zigtausendsten Mal an das allgemeine Rauchverbot erinnerte.
    Ich zündete die Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. Obwohl mir das Heikle meiner Mission durchaus bewusst war, freute ich mich auf das Treffen. Die üblichen Streitigkeiten zwischen Professor Schmelzer und General Walcott würden mich amüsieren. Mir machte es Spaß zu beobachten, wie die Gegner mit ungleichen Waffen aufeinander losgingen: Schmelzer attackierte eloquent und spöttisch und nutzte dafür die Beweglichkeit seines Intellekts, während Walcott, der hochdekorierte Kommisskopp, seinen Willen mit Vorschriften, tumben Drohungen und wüsten Beschimpfungen durchzusetzen suchte – eine primitive Art des verbalen Scharmützels, die beim Professor stets ins Leere stieß.
    Beeindruckend fand ich, wie Frederic March die beiden ihm untergebenen Kontrahenten stets kurz und knapp in ihre Schranken verwies. March empfand bei der Beobachtung der Territorialkämpfe zwischen Schmelzer und dem General im Gegensatz zu mir offensichtlich keinen, nicht einmal heimlichen Genuss. Als Stabschef und Sicherheitsberater des Präsidenten mit dem dazu passenden zweckorientierten Charakter war er an Ergebnissen interessiert und zeigte keinerlei Sinn für menschlichen Zeitvertreib wie Hohn oder Zynismus. Dass March trotz seiner kühlen Ausstrahlung, die durch die eisblauen Augen und das chemisch gebleichte Haar noch unterstrichen wurde, auf mich nicht unsympathisch wirkte, konnte nur an seiner Direktheit und der unprätentiösen Souveränität liegen, mit der er jede Situation in den Griff bekam.
    Ich drückte meine Zigarette aus, ließ den Aschenbecher samt Inhalt provokativ mitten auf dem Schreibtisch
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