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Animus

Animus

Titel: Animus
Autoren: Marina Heib
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aufmerksam den der Akte beigefügten Hormonstatus jeder einzelnen Kandidatin.
    »Pete, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche, aber ich fürchte, mit dieser Angie Helwood wird es nichts werden. Ihr Thyroxinspiegel ist zu hoch, sie ist schon von Natur aus hyperaktiv und könnte mit C15-Injizierungen völlig aus der Balance geraten.«
    »Ihr Psychogramm erscheint außerordentlich stabil, Professor Schmelzer«, wandte ich ein. Doch ich besann mich eines Besseren und grinste in die Runde. »Wie wäre es stattdessen mit Jacky? Vor zwei Jahren wollten Sie ihn nicht, weil er, also sie, eine Transe ist, aber vielleicht sind Sie inzwischen toleranter geworden. Ich sage Ihnen, Jacky ist phänomenal. Suuuperweiblich, hyyypersensibel, jederzeit passend gekleidet, und einen Busen hat sie …«
    March und Schmelzer grinsten. Das war es, was sie an mir mochten: Alle fühlten sich mies – bis auf den General, der erklärtermaßen gar nicht fühlte und dieses Manko als Stärke zur Schau stellte –, und ich fischte sie mit einem niveaulosen Witz aus einem trüben Tauchgang ins Riff der Bedenklichkeiten. Ich spielte schon immer den Clown, wusste dabei aber nie, warum und für wen eigentlich. Es war eine dumme Angewohnheit.
    Wenn man von Jacky absah, wurden alle meine Vorschläge akzeptiert. Angie Helwood und eine andere wurden als Reserve eingestuft. March nahm die Liste an sich und beauftragte mich, die beiden projektgebundenen Headhunter loszuschicken. Sie sollten den acht betreffenden Frauen ihre Alternativen zur lebenslangen Haft oder der Todeszelle aufzeigen. Dann verabschiedete er sich und verließ eiligen Schrittes den Konferenzraum. Walcott tat es ihm nach, sodass Schmelzer und ich allein zurückblieben. Wir schauten uns etwa eine Minute lang wortlos an.
    Schließlich fragte Schmelzer: »Seit wann wissen Sie von der Erweiterung des Projekts?«
    »Seit vier Wochen«, entgegnete ich schuldbewusst.
    »Wieso haben Sie mir nichts gesagt?«
    »Als March mich anrief und mir den Auftrag gab, neue Akten zusammenzustellen, behauptete er, es sei lediglich eine Option, aber noch nicht sicher. Deshalb bat er mich, weder Sie noch Walcott zu informieren. Er wollte unnötige Diskussionen im Vorfeld vermeiden. Tut mir leid, Professor, aber abgesehen von der verteufelten Geschichte mit der Neun kann ich Ihre vehemente Ablehnung nicht nachvollziehen. Wenn der Job Sie so belastet, warum steigen Sie nicht aus?«
    Schmelzer packte seine Unterlagen ein. »Lassen Sie uns einen trinken gehen, Pete. Ich bin nicht böse auf Sie, Sie haben keine Schuld. Ich bin einfach nur frustriert. Die Kontrolle über meine Entdeckung ist mir genommen worden, der ursprüngliche Verwendungszweck pervertiert. Trotzdem bin ich verantwortlich. Deswegen steige ich nicht aus. Es würde nur Walcott in die Hände spielen … Lassen Sie uns gehen, ich brauche einen Whisky.«
    Ich stand auf und nahm, was mich selbst verdutzte, Schmelzer die Aktentasche aus der Hand.
    Schmelzer grinste. »Das ist ja niedlich. Ich gehe nicht davon aus, dass Sie meine Kondition beleidigen wollen. Aber nehmen Sie nur, tragen Sie einen Teil meiner Last, Sie Sensibelchen vom Secret Service!« Dabei fing er laut an zu lachen, und er lachte immer noch ein wenig, als wir schon in meinen Wagen stiegen.

3. Das Ausbildungslager
    Tina, 29, Sensor Stufe 6
    Wir im Lager hatten keine Kenntnis von der Sitzung. Noch nicht. Für uns lief alles ganz normal. Soweit an unserem Leben überhaupt etwas als normal bezeichnet werden kann.
    Vermutlich ungefähr zur gleichen Zeit, zu der Pete und der Professor das Weiße Haus verließen, um in den Lärm der Rushhour von Washington einzutauchen, trat ich nach meinem Spüldienst einige tausend Meilen weiter südlich in Roswell, New Mexico, aus der Lagerküche ins gleißend helle Tageslicht. Als ich die Blechtür geöffnet hatte, war mit mir eine Fliege hinausgelangt, die nun durch die nachmittägliche Stille summte. Sie hatte sich in der Küche an den in der Hitze vertrocknenden Essensresten auf herumstehenden Tellern gütlich getan und steuerte nun den Schuppen mit den Wassertanks an. Mein Blick folgte ihr, denn wir bekommen selten etwas Lebendiges zu sehen hier in der Wüste. Wir selbst sind nicht wirklich lebendig, würde ich mal sagen, und unsere Aufpasser, die wir ›Schatten‹ nennen, auch nicht. Wir sind begraben, alle zusammen, in endlosen Schichten von Sand und Staub.
    Die Lagergebäude, einstöckig und mit Dachpappe oder Wellblech gedeckt, stehen weit
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