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Animus

Animus

Titel: Animus
Autoren: Marina Heib
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stehen, schnappte mein zerknittertes Sakko vom Haken, die Tasche vom Boden, schloss die Tür auf und ging hinaus. Die Tür ließ ich in einer plötzlichen Anwandlung von alberner Anarchie weit geöffnet. Damit die Kollegen während meiner Abwesenheit auf dem Flur etwas zum Naserümpfen und Augenbrauenhochziehen hatten.
    Als ich nach nervenzerrüttenden zehn Minuten durch den Großstadtverkehr in Marchs Büro im Westflügel des Weißen Hauses ankam, saß Schmelzer schon am Konferenztisch und blätterte geschäftig in vollgekritzelten Unterlagen. Schmelzer entspricht meiner Meinung nach perfekt dem von einem berühmten Albert-Einstein-Foto geprägten Klischee des genialen, aber zerstreuten Wissenschaftlers: Er ist klein, etwas über sechzig Jahre alt, mit wildem weißen Haarkranz, sehr schlank und drahtig, mit hellwachen, gelegentlich vor Wut oder auch Begeisterung blitzenden grünen Augen. Auf dem Gebiet der Biochemie gilt Schmelzer als weltweite Autorität, doch vertieft er sich nie so sehr in den mikrokosmischen Inhalt seiner Reagenzgläser, dass er darüber den Blick für die Feinstofflichkeit zwischenmenschlicher Beziehungen verliert. Der deutsche Wissenschaftler zeichnet sich durch eine gewisse Verschmitztheit aus, die ihn mir richtig ans Herz hat wachsen lassen. Dass der mal kindlich-naive, mal bissige Humor Schmelzers dann und wann von einem Schatten stiller Deprimiertheit verdüstert wird, mag wohl an seiner speziellen Aufgabe liegen, derentwegen wir uns nun versammeln würden. Doch diese emotionale Bandbreite stärkte mein Vertrauen in den geistigen Vater unseres Geheimprojektes nur noch mehr. Ich mochte ihn schon immer. Und ich glaube, Schmelzer mochte mich auch. Ich hatte schon des Öfteren nicht ganz erfolglos versucht, ihm seine Aufgabe zu erleichtern, indem ich ihm gegen den General zur Seite stand.
    Wir begrüßten uns mit festem Händedruck.
    »Guten Tag, die Herren«, ertönte die brüchige Fistelstimme des Generals, die in krassem Gegensatz zu seinem klobigen Äußeren stand. Wir wandten uns um und nickten dem Eintretenden höflich, aber kühl zu. Ich setzte mich in deutlicher Allianz mit dem Professor auf die eine Seite des Tisches, der General in Feldherrenmanier ans Kopfende. Schmelzer blätterte ignorant in seinen Unterlagen, der General und ich blickten uns schweigend an. Mir war der General körperlich zuwider.
    Er legte mit seinen Fingern die Tischplatte unter ein Trommelfeuer und brach schließlich die Stille: »March kommt zu spät. Als wäre er der Einzige, der noch mehr zu tun hat. Was soll’s. Schönes Wetter heute, nicht wahr?« Diese hochmütig dahingeworfene Floskel war seine uninspirierte Art, Schmelzers und mein Desinteresse an seinem Eintreffen mit einer belanglosen Leerformel zu entlarven und gleichzeitig die Möglichkeit eines harmlosen Gesprächsangebots offenzulassen.
    Schmelzer stieg nur halbherzig darauf ein. »Finden Sie?«, bemerkte er betont gelangweilt, ohne den Kopf zu heben, und las demonstrativ weiter.
    Die Finger des Generals hörten auf zu trommeln, und seine Hand ballte sich unwillkürlich zur Faust. In diesem Moment trat March ein. Ich konnte beobachten, wie sich Walcotts Faust wieder entspannte und öffnete, um ihn zu begrüßen. March gab uns allen die Hand, setzte sich ans andere Kopfende des Tisches und eröffnete das Gespräch:
    »Lassen Sie uns gleich zur Sache kommen, meine Herren. Pete, Sie wissen, worum es geht.« Damit wandte er sich zu mir. Ich nickte und stellte mit Genugtuung fest, nach einem kurzen Blick aus den Augenwinkeln, dass der General sich durch diese Eröffnung sogleich übergangen fühlte.
    »General Walcott, Professor Schmelzer, ich möchte Sie über die neuesten Pläne und Ihre diesbezüglichen Aufgaben informieren. Wie Sie wissen, ist uns ein wichtiger Sensor in Los Angeles ausgefallen. Also haben wir hier in Washington die beiden Zehner, in San Francisco eine Acht und ansonsten nur noch zwei Siebener in Aktion, wenn man von den noch nicht aktiven Sechsern und den niedrigeren Stufen absieht. Ich möchte den Verlust jetzt nicht kommentieren, sondern Ihnen mitteilen, dass beschlossen worden ist, neue Sensoren zu rekrutieren, und zwar diesmal in größerem Maßstab, um weiteren Ausfällen vorzubeugen. Unser Freund vom Secret Service«, und damit nickte er wiederum in meine Richtung, »hat geeignete Kandidatinnen vorsortiert, aus denen wir gemeinsam mit Professor Schmelzer acht bis zehn auswählen werden. Gibt es dazu etwas zu sagen?«
    March
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