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Anidas Prophezeiung

Anidas Prophezeiung

Titel: Anidas Prophezeiung
Autoren: Susanne Gerdom
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seine Hände los, um sich über die Augen zu fahren. »Wer ist dein Lehrer?«, fragte sie tonlos.
    Albuins Gesicht wurde ausdruckslos. »Ritter Simon«, erwiderte er.
    Ylenia hob das Kinn und schoss unter halb gesenkten Lidern einen funkelnden Blick auf ihn. »Unterschätze mich nicht, junger Dachs. Deine Kräfte sind den meinen bei weitem nicht gewachsen und werden es wahrscheinlich niemals sein. Du hast den falschen Weg eingeschlagen.« Ihre vorher so sanfte Stimme klang nun hart und kalt. »Antworte! Wer ist dein Lehrer?«
    »Magister Ugo«, flüsterte der Junge. In seinen hellen Augen blitzte hilfloser Zorn. Seine Lippen pressten sich hart zusammen, und er wandte sich ab. Ylenias Hand schoss vor und packte seine Schulter.
    »Ich habe dir nicht erlaubt zu gehen. Welchem Orden gehört der Magister an? Sprich!«
    Albuins Augen waren voller Hass, als sie seine Lippen und seine Zunge zwang, sich gegen seinen Willen zu bewegen. »Er gehört zur Grauen Bruderschaft«, stöhnte er und riss sich heftig los. »Er besitzt mehr Macht als jeder andere Magier auf der Welt, und ich bin stolz darauf, sein Schüler zu sein!« Schluchzend stürmte er hinaus.
    Ylenia verbarg das Gesicht in den Händen. Die beiden Mädchen, die das Geschehen schreckerstarrt beobachtet hatten, klammerten sich ängstlich aneinander. Ylenia ließ ihre Hände matt in den Schoß sinken. »Ihr müsst mich entschuldigen. Es ist sonst nicht meine Art, mich so unbeherrscht zu verhalten. Aber es trifft mich sehr hart, eines der Kinder meines Bruders derart an einen anderen Orden zu verlieren – noch dazu an die Grauen ...« Sie verstummte und starrte blicklos aus dem Fenster. »Ich hatte so sehr gehofft ...« Sie schüttelte ungeduldig den Kopf. »Dumme alte Frau«, schalt sie sich und lächelte Ida zu. »Komm her zu mir, meine Kleine. Du erinnerst mich so sehr an mich, wie ich in deinem Alter war. Gib mir deine Hände, Liebes.«
    Ida näherte sich angstvoll und ließ sich auf dem Schemel zu Füßen der Hexe nieder. Ylenia blickte an ihr vorbei und nickte Amali zu. »Geh du ruhig, Kind, du musst nicht hier warten. Ich will mich noch etwas mit deiner Schwester unterhalten, wenn ich sie geprüft habe.« Amali knickste wieder und verließ sichtlich erleichtert das Gemach.
    »Warum ängstigst du dich, Anida?«, fragte Ylenia behutsam. »Ist es, weil ich deinen Bruder so unsanft behandelt habe? Das tut mir leid, bitte glaube mir. Er hat mir starken Widerstand entgegengesetzt, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Sei du nur ohne Furcht, ich werde dir ganz sicher nicht wehtun.« Ihre Augen funkelten vor Freude. »Wenn ich dich ansehe, brauche ich kaum besondere Fähigkeiten, um dich zu prüfen. Es ist wohl genauso, wie ich es mir zu erhoffen gewagt hatte.« Sie erklärte ihre Worte nicht, sondern hielt Ida nur mit einem aufmunternden Lächeln die Hände hin.
    Ida legte gehorsam ihre zitternden Finger in die kühlen Hände ihrer Tante. Sie schlossen sich behutsam über den kleineren Händen des Mädchens. Ida hob mutig die Augen, um Ylenias Blick zu begegnen. Die Pupillen der Hexe waren groß und schwarz und schienen die Welt zu umfassen. Tante und Nichte verharrten eine unmessbare Zeit reglos, Hände und Blicke ineinander verschränkt. Dann ließ ein tiefer Atemzug den schlanken Körper Ylenias erbeben. Sie blinzelte langsam. Tiefe Verwirrung malte sich in ihre Züge. Sie löste ihren Griff um Idas Hände und legte einen Zeigefinger auf die Stelle zwischen den Brauen des Mädchens. So verharrte sie einige Atemzüge lang, ehe sie die Hand sinken ließ und ihre Augen schloss. Ida wagte nicht, sich zu rühren, und wartete still darauf, dass ihre Tante ihr Verhalten erklären möge.
    »Ich verstehe das nicht«, murmelte Ylenia. Sie öffnete die Augen, aus denen jede Freude verschwunden war, und blickte auf Ida wie auf ein seltsames, kleines Tier, das ihr eine Liebkosung mit Bissen vergolten hatte.
    »Was verstehst du nicht, Tante?«, wagte Ida zu fragen. Ylenia schüttelte abwehrend den Kopf und griff nach der Kristallschale, die auf dem Tisch stand. Sie hielt sie Ida hin, die automatisch danach griff, und gebot ihr, hineinzublicken. Ida folgte und senkte den Kopf über die schwere Schale. Die ölige, vielfarbige Flüssigkeit darin spiegelte verzerrt ihr Gesicht wider. Das Spiegelbild schien sich auf seltsame Weise ständig zu verändern.
    »Halte nicht fest«, wisperte Ylenias Stimme in ihr Ohr. »Lass deine Gedanken treiben, egal, was du erblickst. Denk immer daran:
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