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Anidas Prophezeiung

Anidas Prophezeiung

Titel: Anidas Prophezeiung
Autoren: Susanne Gerdom
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und traumlos, und sie erwachte zuerst ohne Erinnerung an das, was geschehen war. Sie blinzelte verwirrt in das morgendliche Licht, das eine blasse Herbstsonne durch das Fenster schickte, und fragte sich, wieso sie nicht in ihrem eigenen Bett lag. Sie wollte sich aufrichten, als ihr Name an ihr Ohr klang, im Tonfall äußerster Erregung von ihrem Vater ausgesprochen. Eilig schloss sie wieder die Augen und spitzte die Ohren, um zu erkunden, worum es in dem Streitgespräch ging, das sich offensichtlich mit ihr beschäftigte.
    Joris' aufgebrachte Stimme näherte sich der Zimmertür, hin und wieder unterbrochen von einer leiseren, beruhigend klingenden Frauenstimme. Die Tür öffnete sich, und der Lord dämpfte sein polterndes Organ, als er seine scheinbar fest schlafende Tochter erblickte. Er näherte sich auf leisen Sohlen dem Bett und ließ sich auf seine Kante sinken. Ida spürte die sachte Berührung seiner großen Hand und bemühte sich, weiter ruhig und tief zu atmen.
    »Ylenia, wie konntest du nur?« Die tiefe Stimme des Lords war brüchig, wie Ida sie noch nie zuvor gehört hatte. »Was hast du meiner Kleinen angetan?«
    »Bitte, Joris, mach dich nicht lächerlich«, erwiderte die Hexe leise und scharf. »Wie du siehst, ist ihr nichts geschehen. Ich habe ihren Schlaf überwacht, um sicherzugehen, dass nichts Böses zurückgeblieben ist, und sie hat die ganze Nacht selig geschlafen wie ein Säugling. Sie wird sich wahrscheinlich noch nicht einmal erinnern, was gestern passiert ist.«
    »Und was ist gestern passiert?« Die Stimme des Mannes klang jetzt genauso leise und scharf wie die seiner Schwester. Er erhob sich von der Bettkante. Ida hörte, wie seine schweren Schritte das Zimmer durchquerten. Als sie es wagte, unter ihren Lidern herzublinzeln, sah sie ihn neben Ylenia am Fenster stehen. Die Hexe stand vor den Scherben der Kristallschale, die auf einem dunklen Tuch auf dem Tisch lagen und in der blassen Sonne funkelten, und blickte reglos darauf nieder. Ida schauderte unwillkürlich, als nach und nach die Erinnerung an ihr gestriges Erlebnis zurückkehrte.
    »Ich habe deine Kinder der Prüfung unterzogen, wie es meine Aufgabe ist«, begann Ylenia ruhig. »Deine Älteste hat nur geringe magische Fähigkeiten, jede einfache Dorfhexe hat mehr davon aufzuweisen.«
    Joris brummte zufrieden. »Aber dein Sohn ...«, fuhr Ylenia fort. Joris hatte wohl eine heftige Bewegung gemacht, denn sie setzte eilig hinzu: »Reg dich nicht gleich wieder auf, Bruder. Was hast du erwartet? Albuin hat starke, noch unentwickelte Kräfte, und er hat sich offensichtlich damit in die Hände eines Grauen Magiers gegeben. Das ist keine Entwicklung, die ich begrüße, aber ich kann es nicht mehr ändern. Dein Sohn ist schon zu weit in die Graue Kunst eingedrungen, als dass ich ihn noch für den Weißen Orden gewinnen könnte.«
    »Das fehlte auch noch!«, knurrte der Lord wütend. »Mein Erbe wird kein verfluchter Hexenmeister sein, wenn ich es irgendwie verhindern kann!«
    Ylenia schwieg eine Weile nach diesen Worten. »Ich denke nicht, dass du es verhindern könntest, Bruder«, sagte sie schließlich müde. »Das liegt nicht mehr in unserer Macht, es ist ausschließlich eine Entscheidung Albuins. Wie alt ist er? Fünfzehn? Ich habe den Fehler begangen, zu lange mit meiner Reise zu euch zu warten, Joris. Albuin hätte sicher der Schüler werden können, auf den ich schon so lange hoffe. Aber ich wollte mir ersparen, die weite Reise zwei Mal machen zu müssen, und weil ich absolut sicher war, dass Anida diejenige sein würde, die deine vollen Kräfte geerbt hat, habe ich mich nur darauf konzentriert, wann sie im rechten Alter ist, geprüft zu werden. Ich wollte sie sofort mit mir nehmen ...«
    »Meine Kräfte!« Es klang wie ein Fluch. »Fängst du wieder damit an, Hexe? Ich bin keiner von euch, ich war es nie, und ich werde es sicherlich nicht zulassen, dass eines meiner Kinder zu dieser Iovveverfluchten Hexerei verführt wird. Wie oft haben wir uns schon darüber gestritten?«
    »Ach, Jor, du alter Dickkopf«, seufzte Ylenia liebevoll. Ein langes Schweigen folgte. Ida riskierte wieder einen Blick und sah voller Erstaunen, dass die beiden Geschwister einträchtig in der tiefen Fensternische saßen. Ylenia hatte den Kopf ihres Bruders an ihre Schulter gezogen und streichelte zärtlich über sein ergrauendes Haar. Joris' massige Schultern bebten wie im Krampf. Ida erkannte voller Unglauben, dass ihr grober, bärbeißiger, dickfelliger Vater
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