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Anidas Prophezeiung

Anidas Prophezeiung

Titel: Anidas Prophezeiung
Autoren: Susanne Gerdom
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grinste sie an und langte nach seinem schmucklosen Schwert, das er an den Baumstamm gelehnt hatte.
    »Aber der eigentliche Grund dafür, dass ich meine Übungen nicht vernachlässige, ist ein anderer.« Er stand auf und blickte aus seiner imposanten Höhe auf sie herab. Sie hob fragend das Gesicht, und er grinste noch breiter. »Mein Vater«, erklärte er und schwang spielerisch die Waffe durch die Luft. »Er war, kurz bevor er starb, so fettleibig, dass er nicht mehr ohne fremde Hilfe vom Bett aufstehen konnte. Ich habe schlicht und einfach Angst, dass ich genauso in die Breite gehe, wenn ich jemals mit meinem Training aufhören sollte.« Lachend wandte er sich ab und kehrte zu seinen Übungen zurück. Ida gluckste und setzte sich bequemer hin, um ihm weiter dabei zuzusehen..

    ~ 2 ~

    Der Herbst hatte begonnen die Bäume zu entkleiden. Ein ungestümer, kalter Wind wirbelte das trockene Laub über den großen Hof von Sendra, als Ylenia, die älteste Schwester des Lords, angereist kam, um ihre Nichten und ihren Neffen kennen zu lernen. Joris empfing sie mit gemischten Gefühlen. Die Geschwister hatten sich seit Jahren nicht gesehen, weil Ylenia ihr Ordenshaus im Norden des Reiches, am Fuße der Ewigkeitsberge, nur selten verließ.
    »Warum kommt sie jetzt auf einmal auf die Idee, uns zu besuchen?«, hatte er sich bei Ysabet beklagt, die sich ganz unverhohlen darauf freute, ihre Schwester endlich einmal wieder zu sehen. »Am Ende will sie noch den Winter über hier bleiben! Sie macht doch nicht nach all den Jahren plötzlich eine Vergnügungsreise, noch dazu in dieser Jahreszeit. Irgendetwas bezweckt sie doch damit!«
    »Gib Ruhe, Joris«, lächelte Ysabet und glättete ihre Schürze mit den roten Händen. »Du hast dich nie gut mit ihr verstanden, das weiß ich wohl. Aber du kannst ihr kaum verwehren, die Kinder ihres Bruders endlich einmal zu sehen. Vor allem, weil sie bisher noch nicht geprüft wurden ...« Sie verschluckte, was sie weiter hatte sagen wollen, und sah besorgt, wie das raue Gesicht ihres Bruders sich zornig rötete.
    »Sie wird meinen Kindern keine Flausen in den Kopf setzen. Albuin macht mir jetzt schon Probleme genug mit seiner Spinnerei. Wenn sie es wagt, ihn darin zu unterstützen, werfe ich sie hinaus – auch wenn draußen der Schnee meterhoch liegen sollte!«
    Ysabet legte ihm besänftigend die Hand auf den massigen Arm. »Joris, ich bitte dich, sei vernünftig. Die Kinder sind längst in dem Alter, wo sie geprüft werden müssen. Gerade Ida ...«
    Joris schnaubte und schüttelte ihre Hand ab. »Dummes Zeug, Aberglauben und Weibergeschwätz! Anida ist genauso wenig eine Hexe wie – wie – wie ich!«, schloss er triumphierend. »Und jetzt Schluss damit. Ich werde unsere Schwester schon nicht ungebührlich behandeln, wenn sie sich zu benehmen weiß.« Er ließ sich in den Lehnsessel am Kamin fallen und schlug die Fäuste auf die zerschlissenen Lehnen. »Geh, such mir den Jungen. Ich will ihm ins Gewissen reden, ehe seine Tante ihn in die Finger bekommt.«

    Ylenia traf nur wenige Tage nach diesem wohl recht einseitig verlaufenen Gespräch zwischen Joris und seinem Sohn ein. Albuin hatte sich danach mürrisch und noch schweigsamer als sonst in seiner Kammer vergraben und sich sogar geweigert, zu den gemeinsamen Mahlzeiten in die Halle zu kommen. Der Lord, der gemeinhin wenig Geduld zeigte, wenn es darum ging, eines seiner Kinder aus dem Schmollwinkel herauszuholen, hatte seinem Kämpen barsch befohlen, den Jungen zur Vernunft zu bringen, aber selbst das geduldige Zureden des jungen Ritters war von keinerlei Erfolg gekrönt gewesen.
    »Lasst ihn doch einfach in Ruhe«, hatte sich altklug die Jüngste eingemischt. »Er regt sich schon wieder ab, spätestens, wenn Tante Ylenia da ist.«
    Ida sollte mit ihrer Vorhersage Recht behalten. Als die Oberste Hexe des Weißen Ordens auf ihrem prachtvollen Grauschimmel und völlig ohne Gefolge in den Hof einritt, hing Albuin oben am Fenster und drückte sich die Nase platt. Die rundliche Ysabet kam aus dem Haus gelaufen, ein dickes Wolltuch nachlässig um die Schultern geschlungen, und fiel ihrer Schwester um den Hals, kaum, dass diese von ihrer Stute gestiegen war. Ihr auf den Fersen folgten die beiden Mädchen und etwas später der brummig dreinblickende Hausherr. Ylenia küsste ihre Schwester herzlich auf die Wangen, reichte Joris mit einem Zwinkern die Hand und blickte dann lange und prüfend auf Anida und Amali. Ida starrte sie aus riesengroß
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