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Angstspiel

Titel: Angstspiel
Autoren: C. Bertelsmann
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eingepackt. Diese Luftblasen, die lustig platzen können. Wie kleine Pupse. Ich schaue zum Fenster. Durch das gezackte Loch, das meine Faust hinterlassen hat. Von dem Herz sind noch die oberen Bögen zu sehen. Sieht irgendwie pervers aus. Wie ein dicker Po. Mir wird noch kälter. Nicht wegen der kühlen Abendluft, die durch das geschlossene Fenster reinkommt. Das Herz lässt mich frieren. Ich hatte es sofort gesehen, als ich die Tür öffnete. Ich wollte nur schnell was holen. Weiß schon gar nicht mehr, was. Als ich das
Licht anmachte, grinste mich sofort das Herz an. Von einem dicken Finger war es von außen an die Scheibe geschmiert worden. Hämisch verhöhnte es mich und wollte mir nur sagen: ICH BIN IN DEINER NÄHE.
     
    Als mich zwei Zivis schlurfend zum Krankenwagen tragen, ziehe ich die Decke ein bisschen höher. Ich bin sicher, dass er hier noch in der Gegend ist. Vielleicht steht er hinter einem Baum am Straßenrand, vielleicht hockt er irgendwo im Gebüsch oder sitzt lauernd in einem Auto. Vielleicht sogar mit einem Fotoapparat. Dann kann er neue Fotos von mir ins Internet stellen. Ich versuche ganz unter die Decke zu kriechen. Fühle mich so ausgeliefert. Die Schürze um meinen Arm wird langsam hart. Das Blut trocknet. Der Pimmel wird hart. Haha. Meine Mutter wird immer hysterischer. Ich bin kurz davor, Luise zu bitten, bei mir zu bleiben. Ich schaffe es, es nicht zu sagen. Meine Mutter ist immer noch nicht in der Lage, mal einen geraden Satz zu formulieren. Sie streut angefangene Fragen in alle Richtungen. Unterbricht sich selber immer wieder oder vergisst auf halber Strecke, was sie eigentlich wissen wollte. Meine Mutter ist toll. Aber leider nicht für die Realität gemacht. Sie kann sich aus dem Stegreif eine tolle Geschichte ausdenken. Sie ist eine Göttin der Verwandlung und verzauberte uns zu Karneval immer in andere Wesen. Sie ist die Königin der Dekoration und macht aus unserem Haus mal einen orientalischen Palast und dann mit Muscheln und Fischernetzen eine Nordseekate. Eigentlich weiß man nie so recht, was einen hinter unserer Haustür erwartet. Auf der anderen Seite der Haustür ist meine Mutter dagegen völlig aufgeschmissen. Wenn sie alleine in die Stadt fährt, muss sie sich aufschreiben, wo sie geparkt hat. Sie hat von meinem Vater eine Uhr mit Weckfunktion geschenkt bekommen, damit sie in der
Stadt, zum Beispiel in einem neuen Krimskramsladen, nicht Zeit und Raum vergisst. Vor ein paar Jahren ist sie in der Stadtbücherei aus Versehen eingeschlossen worden. Sie hatte sich mit einem Buch in eine Ecke gesetzt und sich festgelesen. Irgendwann rief sie uns dann an und teilte uns mit, dass sie erst am nächsten Tag nach Hause komme. Sie sei vorher beim Bäcker gewesen, habe also genug zu essen dabei und sie würde das Buch jetzt einfach zu Ende lesen und sich dann in die Kuschelecke der Kinderbücherei legen. Mein Vater hat sie am nächsten Morgen um neun da abgeholt. Vielleicht wollte er wissen, ob diese abstruse Geschichte wirklich stimmte. Vielleicht hatte er ja Schiss, sie hätte einen Lover. Aber dafür wäre meine Mutter echt zu verwirrt. Sie könnte sich niemals die Namen zweier Männer merken und in den richtigen Situationen anbringen.
    Und mit dieser Frau bin ich jetzt auf dem Weg ins Krankenhaus. Sie sieht immer noch so aus, als habe jemand einen Föhn in ihren Kopf gehalten und alle Gedanken durcheinandergewirbelt. Aber irgendwann werden die wieder landen. Und irgendwann wird sie die Frage stellen:
    Warum hast du das getan?
    Ich kann es ihr nicht erzählen. Sosehr ich mir wünschte, dass das Eis in mir auftauen, die klirrenden Gedanken mit den scharfen Kanten wegschmelzen und ich keine Schatten mehr sehen würde. Sosehr ich mir wünschte, dass mein Vater mich in den Arm nehmen und ein bisschen mit mir schimpfen würde. Selbst wenn er mich zur Polizei schleppen würde, auch das wäre okay, aber womöglich bräuchte es das gar nicht. Wahrscheinlich müsste mein Vater nur ein paar Minuten auf seinem Laptop rumhacken und schon hätte er ihn. Aber ich kann es nicht sagen. Sie werden mich ansehen und an früher denken. Wie lange habe ich nicht daran gedacht? Zwei, drei
Jahre? Da war schon mal das Gefühl der Bedrohung. Schon mal hat sich jemand in mein Leben geschlichen. Dachte ich damals zumindest. So wurde ich mit neun Jahren zur absolut jüngsten Patientin von Frau Stanges. Sie war Psychologin und dafür eigentlich ganz nett. Sie - und die Tablette am Abend - konnte mich davon
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