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Angstspiel

Titel: Angstspiel
Autoren: C. Bertelsmann
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Drehbuch muss umgeschrieben werden. Denn hier wird gerade ein anderes Stück gespielt.
    Wir haben in der Schule mal Improvisationstheater gemacht. Da wusste man auch nie, in welche Richtung das Ganze gerade geht. Das ist nicht mein Ding. Ich weiß gerne, was passiert. Aber das Gefühl fehlt mir ja schon seit Längerem. Mein Kopf beginnt erst langsam zu begreifen. Ich soll jetzt echt hierbleiben. Im Krankenhaus. Klar, wahrscheinlich liegt im Schwesternzimmer schon die erste Tablette für mich bereit.
    »Ma, was soll das? Ich habe mich geschnitten. Mehr nicht. Ruf jetzt bitte Papa an, dass der uns hier abholt.«
    »Linda, reg dich nicht auf. Du sollst dich einfach noch ein bisschen ausruhen. Außerdem möchte der Herr Bleicher hier noch mal mit dir reden.«
    Sie zeigt auf den Jeans-Mann. Bleicher. Das passt. Der sieht selber genauso stonewashed aus wie sein Outfit.
    »Dann kann mich der Herr Bleicher doch mal zu Hause besuchen. Dann können wir in aller Ruhe quatschen.«
     
    Komisch. Eigentlich ist das nicht meine Art, zu widersprechen. Normalerweise hätte ich jetzt genickt. Im schlimmsten Fall noch »gerne« gesagt. Aber es ist nichts mehr normal. Ich bin nicht mehr normal. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie der Arzt irgendwas in seinen Computer eintippt. Schlagartig durchfährt mich ein eiskalter Blitz. Wenn der Kaktus einfach so meine Urlaubsfotos im Internet
manipulieren kann, kann er sich dann auch in den Krankenhausrechner einloggen? Steht hinter meinem Namen jetzt vielleicht schon »schizophren« oder »manischneurotisch«? Wahrscheinlich bekomme ich gleich eine dubiose Infusion, keine kleine Pille, und versinke für die nächsten Wochen in einen Dämmerzustand. Obwohl - der Gedanke fühlt sich fast ein bisschen verlockend an. Dann würde auch die Angst in Watte gepackt. Die Angst. Die immerwährende Angst. Denn meine Angst ist IMMER da. So wie er. Egal, wohin ich meine Gedanken schicke, er ist schon da. Oder nur sein Schatten. Mittlerweile ist er da, auch wenn er nicht da ist. Wenn in meinem E-Mail-Postfach keine Nachricht ist, denke ich trotzdem an ihn: ER HAT NICHT GESCHRIEBEN.
    Als die Bedrohung anfing, war das noch anders. Wenn zwei, drei Tage kein Zeichen von ihm kam, hat sich wirklich ein heller Schimmer in mir breitgemacht. Habe gedacht: Na, siehste, es hört doch schon wieder auf. So wie ein Schnupfen von alleine kommt und von alleine wieder geht. Doch manchmal wird aus einer Erkältung eben doch eine gefährliche Lungenentzündung.
    Ich spüre den Blick von dem Jeans-Mann wie einen Scheinwerfer auf mir. Er steckt die Daumen vorne in die Hosentaschen, lässt die restlichen Finger locker raushängen. Mein Mathelehrer macht das auch oft. Sieht total kacke aus.
    »Vielleicht ist es besser, du ruhst dich jetzt erst mal aus. Ist ja schon spät«, tönt es aus dem Jeans-Wesen. »Wir können auch morgen noch reden.«
     
    »Willst du gleich schlafen? Dann bringe ich dir deine Sachen vielleicht erst morgen früh, oder?«, fragt meine Mutter, als ich mich schließlich in einem Krankenhausbett wiederfinde. Offensichtlich hatte ich doch zu viel Blut
verloren oder was auch immer - meine Gegenwehr und meine Proteste waren einfach nicht vehement genug.
    »Natürlich kommst du morgen früh. Und zwar, um mich abzuholen.«
    Sie nickt, aber irgendetwas gefällt mir an dem Nicken nicht.
    »Mama! Du holst mich morgen früh hier ab, oder?«
    Meine Mutter zerrt jetzt an den Ecken des Kopfkissens. Sie macht mich echt nervös. Ihr Blick sagt, dass sie nicht in diesem Raum ist. Ihre Gedanken sind mal wieder abgebogen, suchen sich ihr eigenes Ziel.
    »MAMA.«
    »Süße, ja. Natürlich holen wir dich ab. Vielleicht nicht gleich morgen früh. Dieser Herr Dings will doch noch mit dir reden. Wer weiß, wann der Zeit hat.«
    »Und wenn Herr Dings erst nächste Woche Mittwoch Zeit hat? Soll ich so lange hier rumliegen und auf die Audienz warten?«
    »Ich bin sicher, er hat morgen Zeit für dich.«
    Mittlerweile zerrt sie an mir rum. Nicht feste. Aber penetrant. Sie streicht mir die Haare immer wieder hinter die Ohren, spielt mit meinen Fingern, streichelt monoton die Innenseite meines Unterarms - des unbandagierten natürlich. Immer wieder der gleiche Weg.
    »Ma, wenn du noch lange damit weitermachst, ist die Haut gleich durch. Dann müssen sie mir den Arm auch noch verbinden.«
    Sie guckt mich erschrocken an und ich sehe, dass sie kurz vorm Heulen ist. Ihre Augen schwappen jeden Moment über.
    »Was ist mit dir?«
    Der erste Tropfen
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