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Angstspiel

Titel: Angstspiel
Autoren: C. Bertelsmann
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mir rumritzen. Ich würde auf Nummer sicher gehen. Mit Schlaftabletten in die Badewanne. Im wohligen Wasser langsam einschlafen. Und dann wirken entweder die Tabletten oder man erfriert in dem kälter werdenden Wasser. Das ist doch mal wirklich ein sauberer Tod, oder?«
    »Woher weißt du so was?«
    »Habe ich irgendwo gelesen.«
    »Und dir gemerkt.«
    »Ja, blöd, was? Matheformeln, Grammatikregeln, Vokabeln - nichts kann ich mir behalten. Aber so einen Mist speichere ich ab.«
    »Wieso Mist?«

    »Weil ich mich nicht umbringen will! Trotz allem nicht.«
    »Trotz was nicht?«
    Wie blöd von mir.
    Der Psychodoktor hatte sich scheinbar gelangweilt auf seiner Couch zurückgelehnt. Doch seine Augen sind hellwach. Ich habe das Gefühl, er beobachtet alles an mir. Jede Bewegung, jedes Zucken, jeden Blick. Dass ich meine Hände unter meine Beine geschoben habe, ist bestimmt ein verstecktes Zeichen für Verklemmtheit. Dass ich meine Füße gekreuzt habe, steht mit Sicherheit für Verschlossenheit. Mich würde interessieren, wie er meine Frisur interpretiert. Seit ein paar Tagen ist das nämlich keine Frisur mehr. In einer dunklen Stunde hatte ich zur Schere gegriffen. Ich hatte mir einen Zopf gemacht, den über den Kopf gehalten und geschnitten. Ich musste ein paar Mal ansetzen, weil meine Haare ziemlich dick sind. Seitdem sind meine Haare halblang. Und stufig. Nein, nicht stufig. Irgendwie angefressen. Ich weiß noch genau, was ich gedacht hatte. Dass ich eine andere sein wollte. Dass er mich vielleicht in Ruhe lässt, wenn ich plötzlich anders aussehe. Noch am selben Abend hatte ich eine SMS bekommen.
    Gefällt mir. Jetzt kannst du dein Gesicht nicht mehr hinter deinem Vorhang verstecken.
    Ich zwinge mich, meine Arme hinterm Kopf zu verschränken - genauso wie der Psychodoc. Langsam lasse ich den Stuhl von rechts nach links schwingen. Für einen kurzen Moment stelle ich mir vor, ich erzähle jetzt alles.
    Dass ich verfolgt werde. Beleidigt. Verhöhnt. Dass ich beobachtet werde, nirgends sicher bin. Dass sich jemand in mein Leben geschlichen hat, sich dort versteckt und mich quält. Dass es keinen sicheren Ort mehr gibt, an den ich gehen, an den ich mich denken kann. Der Psycho
müsste das doch ernst nehmen, dem auf den Grund gehen. Herausfinden, ob das Wahnvorstellungen sind oder Realität. Damit ich mich nicht wieder versuche umzubringen
    Wieso wieder?
    Spinne ich jetzt total? Ich habe ja schon die einfachsten Gedanken nicht mehr unter Kontrolle.
    Und überhaupt: Natürlich würde er nicht groß herumforschen. Für ihn läge es doch auf der Hand, dass ich wieder herumspinne. So wie damals. Meine Akte hat er wahrscheinlich schon längst studiert. Wahrscheinlich würde er was von Zwillingen faseln, bei denen der Abnabelungsprozess voneinander eben besonders schwierig sei. Wenn ich das jetzt erzähle, komme ich doch die nächsten sechs Monate nicht mehr hier raus. Der tut dann wahrscheinlich ganz verständig und überzeugt dann meine Eltern, dass ich absolut schizo bin und auf jeden Fall hierbleiben muss. Bis zur Volljährigkeit oder so.
    Wenn ich jetzt einfach kühl bei der Wahrheit des gestrigen Abends bleibe und beteuere, dass ich die Fensterscheibe nicht absichtlich eingeschlagen habe, glaubt er mir bestimmt nicht. So ein profaner Unfall klingt zu undramatisch für eine Patientin, die schon mit neun ein Psychowrack war.
    Ich atme ganz tief ein und wieder aus.
    Wer weiß, warum meine Bettnachbarin hier ist. Wahrscheinlich ist sie mit ihrem Auto an ein Straßenschild gefahren und der gute Herr Bleicher hier glaubt, sie habe sich eigentlich ins Nirwana befördern wollen und nur in der Stadt keinen schönen Baum dafür und auch den vierten Gang nicht gefunden. Wahrscheinlich wird die seit Wochen hier wegen eines erfolglosen Suizidversuches verwahrt. Kein Wunder, dass die aus Verzweiflung so einen Mist in sich reinstopft. Im schlimmsten Fall ist sie
schon einer unheilbaren Essstörung verfallen, ehe sich endlich ihr Fahrlehrer meldet und zu Protokoll gibt, dass sie schon immer Probleme beim Einparken gehabt habe.
    Seit wann gehe ich von der schlimmstmöglichen Wendung aus? Seit wann spiele ich nur noch mich selber - und das mehr schlecht als recht? Und wieso habe ich dauernd Angst, dass ich meinen Text nicht kann?
    Ich drehe mich langsam mit dem Schreibtischstuhl zurück.
    Ich versuche kurze, klare Sätze zu denken.
    Wenn ich die Wahrheit sage, bin ich verloren. Dann komme ich hier so schnell nicht raus. Für den bin ich
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