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Angstspiel

Titel: Angstspiel
Autoren: C. Bertelsmann
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in mir alles stumm. Es ist ja nicht so, dass zu Hause alles gut ist. Im Gegenteil. Er weiß, dass er mich da finden kann. Und wahrscheinlich hat er sich schon die nächste Überraschung überlegt. Zumindest ist das Fenster noch nicht repariert. Ich kann die Rollladen unten lassen, ohne dass jemand das merkwürdig findet.
So fühle ich mich beschützter. Doch eigentlich weiß ich ja, dass der Kaktus nicht persönlich vorbeikommen muss. Er schleicht sich durch Glasfaserkabel, beamt sich über Satelliten in mein Leben, lauert in meinen Träumen. Ich weiß nie, was er als Nächstes tut - aber ich weiß, dass er was tut. Allein das reicht, dass in mir immer alles auf dem Sprung ist.
     
    Als wir zu Hause ankommen, gehe ich sofort in mein Zimmer, lasse auch vor dem anderen Fenster die Rollladen scheppernd runter und lege mich ins Bett. Schlafen ist der einzige Aggregatzustand, den ich gut ertrage. Aber ich bin nicht müde. In der grauen Dunkelheit sehe ich meinen Laptop auf dem Schreibtisch. Vielleicht wartet hinter dem schwarzen Bildschirm ja schon die nächste Mail. Am Anfang habe ich mich immer so darüber gefreut. Manchmal habe ich mich gefragt, ob ich ein bisschen verliebt bin in diesen Typen, von dem ich fast nichts weiß. Am Dienstag, 17. August, 15.42 Uhr hat er mich angesprochen. Ich weiß das noch so genau, weil ich unseren Talk im Chat damals abgespeichert und ausgedruckt habe. Und es war gleich am Anfang der neuen Zeitrechnung »ohne Luise«.
    »Kaktus« an »Ich + Ich«: Mit so einem Nicknamen ist man entweder sehr egozentrisch oder schizophren. Was trifft auf dich zu?
    »Ich + Ich« an »Kaktus«: Weder noch. Ich bin einfach nur ich. Nicht mehr.
    »Kaktus« an »Ich + Ich«: Aber auch nicht weniger?
    »Ich + Ich« an »Kaktus«: Reicht doch.
    »Kaktus« an »Ich + Ich«: Wenn du dir selbst genügst ☺ . Wie kommt man eigentlich bei diesem Wetter auf die Idee, sich vor einen Computer zu setzen und zu chatten?
    »Ich + Ich« an »Kaktus«: Vielleicht habe ich ja eine Lichtallergie und darf mich nur im Dunkeln aufhalten.

    »Kaktus« an »Ich + Ich«: Ich habe keine Lichtallergie, nur eine Sonnendepression. Mir geht diese dauergrinsende gute Laune überall dermaßen auf den Keks. Ich würde meine vierzigteilige Matchbox-Auto-Sammlung für ein fettes Tief geben. Ich meine damit kein niedliches Sommergewitter, bei dem die Leute sich kichernd irgendwo unterstellen. Ich meine einen dunklen Regen, der so laut ans Fenster klatscht, dass man die Musik lauter drehen muss.
     
    Ich wusste genau, was er meint. Ich mag den Sommer auch nicht und dieser schien kein Ende zu nehmen. Wenn alle immer so fürchterlich gut drauf sind, man überall nur Händchen haltende Pärchen sieht, wobei man sich lebhaft vorstellen kann, wie schwitzig es zwischen diesen Händchen sein muss. Kaum steigt das Thermometer auf über dreiundzwanzig Grad, reden die Leute nicht mehr, sondern singsangen so komisch. Es wird an allen Ecken gekichert und gef lirtet und über allem blinkt permanent die Leuchtschrift mit: »Ist das Leben nicht herrlich?«
    Nein, das Leben ist oft nicht herrlich. Es ist auch traurig und verzweifelt und einsam und neblig und ein schmatzendes Moor.
     
    »Ich + Ich« an »Kaktus«: Du meinst, du hast schlechte Laune, obwohl man jetzt im Freibad schwitzende, fette Menschen sehen kann, die sich in der Warteschlange am Frittenstand die schwabbeligen Beine in den überdimensionalen Bauch stehen? Du findest es nicht gut, wenn die Leute sich in die Klamotten vom letzten Jahr zwängen und an allen Ecken und Kanten der Speck rausgepresst wird? Wenn der Sonnenbrand schon in Fetzen von der Haut hängt? Oder wenn sich Paare im Park rubbelnd aufeinanderlegen und die Frau irgendwann anfängt mit falschen Fingernägeln ihrem Typen die Pickel auf dem Rücken auszudrücken? Das ist doch alles wunderschön.

    »Kaktus« an »Ich + Ich«: You’re welcome! Ich habe eine leise Vorahnung davon, was du nicht magst. Was aber mag wohl jemand, der sich »Ich + Ich« nennt - außer sich selber.
    »Ich + Ich« an »Kaktus«: Wer sagt denn, dass ich mich mag. Ich bin einfach ich, nur ich, ob ich will oder nicht.
    »Kaktus« an »Ich + Ich«: Und? Willst du?
     
    Nach der Frage hatte ich unseren Talk abgebrochen. Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Also, ich wusste nicht nur nicht, welche Antwort ich ihm geben sollte, sondern auch nicht, was wirklich die Antwort war. Ich nannte mich »Ich + Ich«, weil ich dieses Duo einfach gut finde.
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