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Angstspiel

Titel: Angstspiel
Autoren: C. Bertelsmann
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überzeugen, dass niemand mich verfolgte. Angefangen hatte alles mit einem Unfall. Ich war in der Küche gestolpert, gegen Luise geknallt, die stieß gegen den Herd und kochendes Wasser floss über ihr Bein. Mehr als zwei Monate war Luise in verschiedenen Krankenhäusern. Es hatte nie jemand gesagt, dass ich schuld war. Aber alle wussten es natürlich. Ich hatte mich so kacke gefühlt. So allein, so nackt. Ohne Luise. Irgendwann hat Mama mir ins Ohr geflüstert, dass Lu doch in Gedanken immer bei mir sei. Das war beruhigend gemeint, aber es wirkte auf mich wie eine Drohung. Und ganz plötzlich war da das Gefühl, dass mich jemand beobachtet. Es war so ein bisschen, wie wenn man sich als Kind vorstellt, dass der liebe Gott von oben alles sieht. In mir machte sich eine Panik breit. Als ich daraufhin anfing, fast jede Nacht ins Bett zu machen, fanden meine Eltern das erst mal nur blöd. Als ich dann jedoch begann, fremde Leute auf der Straße anzuschreien, gingen sie mit mir zu einem Arzt. Von dort ging es zu Frau Stanges. Jeden Montag, halb vier, war ich dann bei ihr. Wirklich gut wurde es aber erst, als Luise wieder nach Hause kam. Das war damals. Wenn ich jetzt erzähle, dass sich da jemand in mein Leben drängt, wird es sicher nicht lange dauern, bis ich wieder bei Frau Stanges sitze. Und vielleicht reicht dann eine Stunde pro Woche nicht mehr? Würden meine Eltern mich in eine Anstalt einliefern? Ich weiß es nicht, ich will es aber nicht riskieren. Ich muss es alleine schaffen. Ich muss es schaffen. Ich will wieder in mein altes Zimmer ziehen. Wieder ins Licht, ans Licht. Mit Fenstern
zur Straßenseite. Ich will mich nicht mehr im Keller verstecken müssen. Unser Keller heißt ja eigentlich nicht Keller, sondern Souterrain. Aber ein bisschen dunkel ist es schon. Deswegen wollte ich ja auch dahin. Mich da verkriechen. In meinem Zimmer unterm Dach hatte ich in den letzten Wochen immer nur noch Kerzen angezündet, um es ein bisschen hell zu machen. Es durfte nicht zu hell sein. Bei Lampenschein fühlte ich mich sofort so nackt. Wie auf einer Bühne. So unheimlich sichtbar. Selbst wenn die Vorhänge zugezogen waren. Ich war lieber unsichtbar. Ich hatte meinen Dad gebeten, Rollladen einzubauen. Hatte was davon gefaselt, dass es nachts nicht richtig dunkel würde und ich nicht mehr schlafen könne. Luise hat es mir kaputt gemacht. Sie war blöderweise bei dem Gespräch dabei und hatte nur kurz aufgelacht: »Linda, du verkriechst dich unter deiner Decke wie ein Bär zum Winterschlaf. Du würdest es nicht sehen, wenn nachts plötzlich die Sonne aufging.«
    Keine Ahnung, warum sie das gesagt hat. Ich hab dann nicht mehr von den Rollladen angefangen und bin eben in den Keller gezogen. Irgendwie ging mir da oben ja auch die Dauerpräsenz von Paul auf den Keks. Ich konnte ja schon gar nicht mehr auf die Toilette gehen, weil ich immer Schiss haben musste, dass er plötzlich an die Tür klopft. Allein die Vorstellung, dass er mir beim Pinkeln zuhören konnte, fand ich doof. Mir ist so was peinlich. Dieses Plätschern. Ich habe immer jede Menge Klopapier in die Schüssel gestopft, wenn er da war und ich mal musste.
    In letzter Zeit waren da noch andere Gedanken.
    Was, wenn er es wäre?
    Wenn er sich vielleicht nur deswegen an Luise herangemacht hat. Nur, um mich fertigzumachen.
    Ich habe mich immer eingeschlossen. Sobald ich in meinem Zimmer war, habe ich den Schlüssel rumgedreht.

    Spätestens seit heute Abend weiß ich, dass er es nicht sein kann. Paul war den ganzen Abend bei Luise im Zimmer gewesen. Er kann nicht das Herz an die Scheibe gemalt haben.
    Eine Stimme in mir schreit auf: doch! Er kann. Er hätte es vorher machen können. Bevor er geklingelt hat. Vielleicht ist er erst in den Garten geschlichen, hat seinen fiesen Finger in den Mund gesteckt, um dann mit ekliger Spucke ein Herz ans Fenster zu schmieren.
    Er hätte also die Möglichkeit gehabt. War ich in meinem Zimmer gewesen? Hatte er mich gesehen? Mich beobachtet, als ich auf dem Bett lag und Musik gehört habe?
    Ich stöhne auf. Meine Mutter greift sofort nach meiner Hand. Gott sei Dank nimmt sie die Hand am heilen Arm. Sie streichelt sanft über die Innenfläche.
     
    Im Krankenhaus geht es total schnell. Am längsten kümmert sich der Arzt um meine Mutter. Sie bekommt was zur Beruhigung und jede Menge Ansprache. Fehlt nur noch, dass jemand ihre Hand hält. Die völlig verkrustete Schürze landet im Müll und die klaffenden Wunden an meinem Handgelenk werden
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