Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Angst in der 9a

Titel: Angst in der 9a
Autoren: Stefan Wolf
Vom Netzwerk:
viereckigen Platz.
    Laden reihte sich an Laden. Speiselokale, Cafés und Kneipen boten Gelegenheit, Einkauf oder Schaufensterbummel auf angenehme Weise zu unterbrechen. Vor den Cafés standen Tische mit bunten Sonnenschirmen. Zwar führte die Fahrbahn dicht daran vorbei, aber die zahlreichen Gäste schien es nicht zu stören, dass der Kaffee nach Abgasen duftete und die Torte einen schwachen Benzingeschmack hatte.
    Tarzan fand einen freien Platz im Fahrradständer, stellte seine Tretmühle ab, sicherte sie mit dem Kabelschloss und wandte sich dem Gebäude zu.
    Im Parterre lag der BIERBRUNNEN. Durch die Glasfront konnten die Gäste das Getümmel auf dem Rathausplatz beobachten – was sicherlich zum Verweilen reizte. Denn wer auch immer in der Stadt wohnte – irgendwann kam er hier mal vorbei. Außerdem ereigneten sich im Tagesdurchschnitt zwei Unfälle an der Kreuzung. Meistens verliefen sie glimpflich. Aber wer gehässig ist, genießt als Unbeteiligter auch einen Blechschaden.
    Tarzan konnte in den BIERBRUNNEN sehen.
    Hinter der runden Theke hatte ein schmerbäuchiger Wirt alle Hände voll zu tun, um die gewünschten Biere zu zapfen. Fast alle Barhocker waren besetzt. Aber Tarzan sah die beiden, die ihn grinsend beobachteten, sofort.
    Es waren Bettger und Drechsel.
    Sie saßen nicht nebeneinander, sondern rechts und links von einem Typ, den sie offenbar auf Tarzan aufmerksam machten.
    Er war ungefähr 18, trug eine schwarzlederne Motorradjacke, aber kein Hemd und hatte sich ein handtellergroßes emailliertes Abzeichen auf die nackte Brust gehängt. Sie war dicht behaart. Das Gesicht erinnerte an eine Bulldogge – obwohl diese netten Hunde das sicherlich als Kränkung zurückgewiesen hätten. Er war blond, der Typ. Die Haare hingen ihm in die Stirn. Im linken Ohrläppchen trug er einen Messingring, der ständig schaukelte.
    Eben hob er ein Schnapsglas an den stacheligen Schnurrbart, kippte den Inhalt auf einen Zug hinunter und spülte mit Bier nach.
    Schöne Gesellschaft haben sich die beiden da ausgesucht, dachte Tarzan. Wahrscheinlich ist diese Rockertype ihr Vorbild.
    Das Gebäude hatte nur einen Eingang. Ein Flur führte zur Treppe. Dr. Kempfers Praxis lag im Obergeschoss.
    Tarzan musste an der geöffneten Tür des BIERBRUNNEN vorbei.
     
    Er sah nicht hinein, aber Bettgers krakeelende Stimme ließ sich nicht überhören.
    »Haste ihn gesehen, King? Das war der Angeber. Dem Affen gehört mal das Fell gegerbt. Oder wollen wir’s ihm über die Ohren ziehen, King? Hahaha...«
    Tarzan wusste, dass diese Pöbelei ihm galt, ließ sich aber nicht stören, stieg die Treppe hinauf, klingelte an der Praxistür, wartete den Summerton ab und ging, freundlich grüßend, zu der Arzthelferin, die in der Anmeldung saß.
    Er sagte, dass er bestellt sei, und wurde in den Warteraum geschickt.
    Nur ein Patient wartete dort, ein Mann.
    Er erwiderte Tarzans Gruß und begleitete das mit einem Seufzer, als lasteten Zentnergewichte auf seiner Seele. Mit einem Taschentuch wischte er sich über das schweißnasse Gesicht.
    »O Gott!«, murmelte er und lehnte sich zurück. Tarzan setzte sich und griff nach einem Sportjournal.
    Er blätterte, aber ein gluckerndes Geräusch ließ ihn aufblicken.
    Erstaunt sah er, wie der Mann aus einem Flachmann trank – wie man die Taschenflaschen nennt.
    Starker Schnapsgeruch wehte zu Tarzan herüber.
    »Sonst trinke ich fast gar nicht«, entschuldigte sich der Mann. »Aber wenn ich zum Zahnarzt gehe, muss ich mir vorher Mut machen. Mit Cognac. Habe jedes Mal einen furchtbaren Bammel. Dagegen kann ich nichts tun. Ohne Schnaps ginge gar nichts. Da würden mir die Zähne so klappern, dass der Doktor beim Bohren den falschen trifft.«
    Tarzan lachte. »Angenehm ist es sicherlich keinem.«
    »Du hast keine Angst?«
    »Ich komme nur zum Nachsehen.«
    »Hast du ein Glück. Bei mir müssen fünf Löcher ausgebohrt werden. Und einen Backenzahn verliere ich bestimmt.«
    »Sie werden es überstehen.«
    »Aber nur mit Schnaps.« Er trank den Rest aus der Flasche. »Oh, weh! Das war alles. Und die Wirkung lässt nach. Ich bin schon fast wieder nüchtern.«
    Verzweifelt zerrte er an den Fingern. Aber dann kam ihm der rettende Einfall.
    »Würde es dir was ausmachen, Junge, wenn du als Nächster reingehst. Und ich erst nach dir dran bin.«
    »Im Gegenteil. Umso eher wäre ich fertig.«
    »Danke, mein Junge! Danke!« Er stand auf. »Was für ein glücklicher Zufall, dass unten der BIERBRUNNEN ist. Dort trinke ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher