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Angst (German Edition)

Angst (German Edition)

Titel: Angst (German Edition)
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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muss, denke ich. Ich scheue mich, das zu tun, weil ich Angst habe, dass sie mich dann mit anderen Augen sehen werden, mich vielleicht verstoßen, mich vielleicht verehren, ich weiß es nicht, alles ist möglich, aber mir wäre am liebsten, alles bliebe, wie es ist. Wir sind wieder in der Normalität gelandet, einer neuen Normalität, der Post-Tiberius-Normalität, könnte man etwas hochtrabend sagen. Gingen wir nicht regelmäßig meinen Vater besuchen, wäre unser Alltag ähnlich wie früher. Na ja, ich muss zugeben, dass ich nachts noch immer Patrouillengänge durch den Garten mache, nicht weil ich glaube, der Geist von Herrn Tiberius könne uns heimsuchen, sondern weil ich die Angst nicht loswerde, er könnte einen Freund gehabt haben, einen von seinem Schlag, der darauf sinnt, den verlorenen Gefährten zu rächen. Ich nehme den Hund mit, er muss nachts ohnehin raus, er schnüffelt und schnaubt, das eine oder andere Mal habe ich ihn ratlos vor einem Igel stehen sehen. Gut, wenn man sich so schützen kann wie ein Igel. Dem Fuchs, von dem wir wissen, dass er da ist, sind wir nie begegnet, auch keinem Menschen. Höchstwahrscheinlich gibt es keinen Rächer, aber wir sind jetzt Gezeichnete, wir werden uns nie mehr so sicher fühlen wie zuvor, eine Pistole habe ich deshalb jedoch nicht.
    Dafür haben wir nun den Rhodesian Ridgeback, groß, breit, zu Hause sehr lieb, aber auf der Straße gefährlich und noch mehr rund ums Haus. Wenn ich mit ihm spazieren gehe, denke ich manchmal, dass ich nun doch da gelandet bin, wo mein Vater war: Ich bin bewaffnet. Benno ist kein Killer, nicht mannscharf, wir haben ihn nicht abrichten lassen, aber seine natürliche Aggressivität reicht, um mich häufig in Verlegenheit zu bringen. Ich muss Leute beschwichtigen, die er angebellt oder trotz der Leine angesprungen hat. Zu Hause liege ich mit ihm auf dem Fußboden, eng aneinandergeschmiegt, wir genießen das beide, aber er nimmt mir auch etwas von meiner aufgeklärten Bürgerlichkeit. Wer mit einem riesigen Rüden rumläuft, ist verdächtig, asozial zu sein. Doch wir brauchen dieses Biest, Rebecca hätte sich ohne ihn nicht beruhigt. Als alles gut war, Herr Tiberius uns nichts mehr anhaben konnte, verdunkelte sich das Gemüt meiner Frau. Sie, die in der Krise so viel so tapfer ertragen hat, so umsichtig und besonnen war, weinte oft, ohne sagen zu können, warum. Es wurde erst besser, als der Hund zu uns kam. Er gibt Rebecca die Sicherheit, die sie braucht.
    Unsere Ehe ist im Wesentlichen das geblieben, was sie durch Herrn Tiberius geworden ist. Es ist hart, das so auszudrücken, ich weiß, aber manchmal tut es gut, die Dinge so zu sagen, dass sie weh tun, zumal es die Wahrheit ist. Als sich Herr Tiberius daranmachte, unsere Familie zu zerstören, war sie praktisch schon zerstört, er konnte nur noch der Zerstörer des Zerstörten werden. Auch zu hart, ich weiß. Warum tut uns Schmerz manchmal so gut? Ich weiß es nicht, ich spüre es nur. Um die Geschichte meiner Ehe nun einmal kühl zu betrachten: Sie war in einer schweren Krise, als Herr Tiberius in unser Leben eindrang, und erst durch ihn wurde mir ein ehrlicher Blick auf mich selbst, meine Frau und unsere Ehe möglich. Danach wurde es besser.
    Danke, Herr Tiberius.
    Das tut jetzt richtig weh. Aber manchmal lassen die Kröten, die warzigen Bewacher meines Unbewussten, dieses Wort von ihrem tiefen Grund aus aufsteigen. Ich wedele dieses Danke sofort zurück in den Schacht, ich halte es für ein unangemessenes Wort, aber ich kann nicht ignorieren, dass es manchmal hochkommt. Wären wir doch wirklich die Herren über unsere Gedanken. Ich kann jedenfalls sagen, dass mich nichts glücklicher macht, als mit meiner Frau zusammen zu sein, dass ich keinen Rückfall in meine Selbstgenügsamkeit erlitten habe und so lebe, denke, fühle, als wäre ich nicht vollständig ohne Rebecca. Das, denke ich, ist wahrscheinlich die beste Grundlage für eine Ehe. Eine Symbiose meine ich allerdings nicht, wir bleiben immer noch autonome Wesen, aber eben unvollständige ohne einander. Leider bin ich mir manchmal nicht sicher, ob es meiner Frau ähnlich geht wie mir. Mir ist aufgefallen, dass sie sehr schnell einem bestimmten Wunsch unseres Hundes nachgibt. Der Rhodesian Ridgeback ist eifersüchtig, und wenn ich Rebecca umarme, drängt er sich sofort zwischen uns. Ich würde ihn vertreiben, aber meine Frau tut ihm den Gefallen und lässt eine Trennung zu. Eine Kleinigkeit, ich weiß, aber sie geht einher mit
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