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Angst (German Edition)

Angst (German Edition)

Titel: Angst (German Edition)
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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habe ich längst gemerkt, und ich hoffe, dass er es nicht gemerkt hat, das hoffe ich sehr. Herr Kottke hat erzählt, welche Wertschätzung mein Vater in diesem Gefängnis genießt. Die anderen Häftlinge würden ihn bewundern, weil er trotz seines Alters dieses «Schwein» erledigt hat. Herr Kottke hat das schon häufiger erzählt, und ich höre dann immer heraus, dass die anderen Häftlinge mich verachten, weil ich meinem Vater die Tat überlassen habe. Überdies sind mir diese Elogen nicht recht, weil ich nicht weiß, wie es sich bei meinen Kindern auswirkt, wenn sie erfahren, dass ihr Opa im Gefängnis von den Verbrechern dort als Held angesehen wird. Wir haben unseren Kindern das so nicht erzählt. Nach der Tat mussten wir natürlich mit ihnen reden, und wir haben gesagt, dass Opa es nicht mehr aushalten konnte, welches Leid seiner Familie angetan wurde, und da habe er sich entschlossen, dieses Leid zu beenden, und das könne man sehr gut verstehen, obwohl es natürlich nicht richtig sei, einen Menschen zu erschießen. Es ist nicht so leicht, Kindern eine so komplexe Sache zu erklären. Wir haben ihnen auch gesagt, dass es gerecht sei, dass der Opa eine Strafe bekommen hat, die sitze er jetzt ab, und dann komme er frei, und alles sei wieder gut. Meine Kinder hatten dazu Fragen eher praktischer Art, zum Beispiel, ob der Opa auch im Gefängnis seine Zeitschriften lesen könne, und da konnten wir sie beruhigen. Sie leben jetzt ganz gut mit einem Opa im Gefängnis, maulen aber vor den Besuchen wegen der Langeweile. Für mich ist es auch schwieriger, wenn sie dabei sind, weil das Thema, das Herrn Kottke am meisten umtreibt, die Kriminalität ist, drinnen und draußen, und ihm fehlt das Gespür dafür, welches Grauen man Kindern zumuten kann, obwohl er selbst drei Kinder hat. Ich musste ihn heute wieder vorsichtig um dieses Thema herumdirigieren, musste ihn auf harmlose Gebiete führen, und wir redeten eine Weile über Münzen, auch wenn mich das nicht interessiert. Herr Kottke sammelt Münzen und weiß viel davon zu erzählen. Die Stunde floss zäh dahin, zehn Minuten vor Ablauf sagte ich den Kindern, dass sie ihre Malsachen einpacken sollen. Fee hatte einen Bauernhof gemalt, Kühe auf der Weide, darüber eine Sonne hinter Gittern. Sie stand auf, ging um den Tisch herum und gab das Bild dem Opa. Er bedankte sich. Von Paul bekam er ein Rennauto. Er lächelte. Die Kinder waren verlegen, als sie sich von ihrem Großvater verabschiedeten, gaben ihm die Hand, ohne ihn anzusehen. Sie gaben auch Herrn Kottke die Hand, eine Umarmung von meinem Vater und mir, dann gingen wir nach Hause.

    Die Gartenpforte quietscht, ich schaue auf, die Moldawierin kommt nach Hause. Sie sieht meinen Blick und winkt mit einer Hand, ich winke zurück, ein kleines, nachbarschaftliches Lächeln in ihrem Gesicht und meinem. Die Moldawierin aus der Reinigung wohnt nun im Souterrain, eine füllige Frau von Ende dreißig, eine angenehme, ruhige Nachbarin, von der wir nichts zu befürchten haben. Als sie einmal einen Kuchen für uns gebacken hat, gerieten wir kurz in Panik, dies könne der Auftakt zu einem neuen Horror sein, aber so war es nicht. Sie hält sich zurück, zeigt uns nur manchmal ihre Sympathie, und wir revanchieren uns mit kleinen Geschenken, die ihr nützlich sein könnten, eine Thermoskanne, ein hübsches Salatbesteck. Viel Geld hat sie nicht. Manchmal kommt der Besitzer der Reinigung abends vorbei und bleibt ein, zwei Stunden. Er lebt mit seiner Familie ganz in der Nähe, aber wir sind keine Spießer, soll jeder das tun, was er mit sich selbst vereinbaren kann. Wir drehen die Musik etwas lauter, im Moment vor allem Mahlers 2. und 5. Symphonie. Wenn wir dem Besitzer der Reinigung an der Gartenpforte begegnen, grinsen wir nicht, obwohl seine himbeerfarbenen Cordhosen dazu einladen. Er trägt immer himbeerfarbene Cordhosen, wenn er die Moldawierin besucht. Es gibt in Charlottenburg einen Laden, der Männern ein breites Sortiment farbiger Cordhosen bietet. Ich frage mich, warum uns ein bestimmter Männertypus, über fünfzig, meistens kahl auf dem Kopf, farbige Beine zeigen muss.
    Mein Black Print ist fast leer. Ich habe viel getrunken beim Schreiben heute, denn das, was jetzt kommt, fällt mir schwer. Ich muss die Sätze aufschreiben, die noch nicht gesagt wurden, damit ich sie vielleicht endlich sagen kann, zu Rebecca, zu Bruno, zu meiner Mutter, später einmal zu meinen Kindern. Das ist der Kreis, der eingeweiht werden sollte, werden
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