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Angst (German Edition)

Angst (German Edition)

Titel: Angst (German Edition)
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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los waren, aber wir fanden nicht, dass der Tod eines Menschen ein Grund für eine Freudenfeier ist. Ich bestellte einen niedrigpreisigen Rotwein, wir tranken maßvoll und redeten über die Kinder und den Wunsch meiner Frau, wieder in der Forschung zu arbeiten. Nach dem dritten Gang, Kaisergranat mit Grönlandsalz und Püree von Staudensellerie, überkam mich plötzlich ein Unbehagen, ich schwitzte und fühlte mich nicht mehr wohl hier. Was ist los mit dir, fragte Rebecca, die sah, wie sich mein hellblaues Hemd dunkel färbte. Ich weiß nicht, sagte ich, hatte aber schon eine Ahnung. Ich fing an, mich als Zumutung für die anderen zu begreifen. Sie saßen hier in ihrer Festlichkeit, in ihrem Behagen, und sie wollten diese Stunden nicht in der Gegenwart eines Mörders verbringen. Ich sprengte diesen Rahmen, weil die Leute, die im Hedin sitzen, zwar gerne Theaterstücke mit Morden anschauen, zwar gerne über mörderische Regime in Afrika und Asien debattieren oder die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika ein mörderisches Regime nennen, sie wollen ihren Abend aber nicht in der Gegenwart eines Mörders verbringen, höchstens vielleicht eines Mörders, der seine Strafe verbüßt hat und resozialisiert ist. Das ginge noch, aber so ist es ja nicht bei mir. Ich spürte, dass sie spürten, dass ich ein Mörder bin. Heute kann ich sagen, dass ich mir das eingebildet habe, aber damals konnte ich das nicht. Ich hatte plötzlich eine gewaltige Präsenz, und die hatte ich vorher nicht gehabt, ich wollte nie auffallen, nie im Vordergrund stehen, keine Reden halten. Unauffälligkeit war mir recht. Noch vor dem Dessert, Schokolade aus Französisch-Guayana im Maismantel, gingen wir.
    Am nächsten Tag hatte ich einen ähnlichen Anfall in einem Stehcafé, in dem ich rasch einen Espresso trinken wollte. Nichts breitet sich in Berlin so aus wie Stehcafés, Einstein, Starbucks und so weiter, wo jeder auf die Schnelle sein Gleichgewicht finden, sich stärken muss, um die nächste Stunde zu überstehen. Diese Stadt ist hochnervös, überempfindsam, alle sind so überladen mit Eindrücken, Geräuschen, Begegnungen, Zumutungen aller Art, dass sie schon ein kleines Mehr in die Verzweiflung treibt, in die Neurasthenie, wie das früher hieß. Ich war nun dieses Mehr, ich, der Mörder, die eine Zumutung zu viel, dachte ich. Ausgerechnet ich baute Häuser, Heime für ein friedvolles Leben, die ich nun auflud mit einem mörderischen Karma und damit letztlich unbewohnbar machte.
    Ich hielt Berlin nicht mehr aus, weil ich glaubte, dass Berlin mich nicht mehr aushalten konnte, und sagte Rebecca, dass ich eine Auszeit brauche, eine Woche Ruhe, Entspannung, weg von allem. Sie verstand das gut, weil ich der Sohn eines Mörders war, wie sie dachte, und viel zu verarbeiten hatte. Ich flog nach Bozen und nahm dort ein Taxi, das mich zu einem einsam gelegenen Gasthof am Rand der Seiser Alm brachte. Ich bin kein Wanderer, kein Bergmensch, aber ich hatte einmal eine Tagung in Bozen, und da gefiel mir die Schroffheit des Südtiroler Gebirges. Ich dachte, dass solche Massive meine gewaltige Präsenz aushalten können, dass dem Gleichmut solcher Berge, die seit Millionen von Jahren existierten, die Präsenz eines Mörders nichts anhaben würde. Dem Schlern konnte ich mich zumuten, auch Petz, Burgstall, Gabels Mull.
    Mittags bezog ich mein Zimmer, am frühen Nachmittag lief ich los, ohne Plan, ohne Ziel. Ich folgte dem Weg, der an meinem Gasthof vorbeiführte, folgte ihm bergauf, und schon nach wenigen Schritten stellten sich mir die Fragen, die ich lange nicht zugelassen hatte. Wie konnte einer, der nie schießen wollte, einen Menschen erschießen? Wie konnte einer, der so auf den Rechtsstaat gesetzt hat, zur Selbstjustiz greifen? Meine erste Antwort war die Blase. Wir waren in Panik geraten, und das hat uns von der Wirklichkeit entkoppelt, und das hat uns auch von uns selbst entkoppelt. Wir verschwanden in der Blase und lebten dort unser Panikleben. Kinder machen einen so empfindlich, dass man mit ihnen schnell in einer Blase landet. Aus dieser Unwirklichkeit heraus begann ich den Mord zu planen, dachte ich auf meinem Weg in das Massiv hinein. Ich plante den Mord für einen anderen, meinen Vater, das machte es vielleicht leichter, schwächte die Gewissensfrage ein wenig ab, obwohl es eine Gewissensfrage gegenüber meinem Vater aufwarf, aber ich fühlte mich als Sohn dieses Vaters im Recht, das Können, das er hatte, für mich zu nutzen. Dass ich dann
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