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Angel Eyes. Zwischen Himmel und Hölle (German Edition)

Angel Eyes. Zwischen Himmel und Hölle (German Edition)

Titel: Angel Eyes. Zwischen Himmel und Hölle (German Edition)
Autoren: Lisa Desrochers
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und befiehlt: «Holen Sie Früchte des Zorns hervor. Da Mr. Steinbeck es nicht geschafft hat, die einundsiebzig Seiten seines Kapitels sechsundzwanzig an passender Stelle zu unterbrechen, haben wir es für ihn auf Seite 529 des Buches getan. Den Rest des Kapitels lesen wir heute im Unterricht und diskutieren anschließend, worauf es Steinbeck ankam.»
    Endlich wendet Mystery Boy den Blick von mir ab. Aber ich habe das Gefühl, er hat mich abgecheckt – von außen und von innen, wenn das einen Sinn macht.
    «Miss Cavanaugh, dürfte ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten?»
    Es ist die Stimme von Mr. Snyder, die wie ein Eimer kaltes Wasser über mich schwappt. Wahrscheinlich habe ich das gebraucht, denn mein Inneres steht in Flammen. «Äh, was?»
    «Das war übrigens ein schöner Artikel, gestern im Boston Globe », sagt Mr. Snyder lächelnd. «Hat den Kern Ihres Programms sehr gut getroffen. Auch das Foto fand ich hübsch. Wenn Sie aber jetzt bitte auf Seite 530 anfangen würden zu lesen.»
    Ich sehe mich um. Alle haben ihr Buch aufgeschlagen vor sich, selbst Mystery Boy. Nur meins steckt noch in der Tasche. Normalerweise gehöre ich auch nicht zu den Mädchen, die leicht rot werden, aber jetzt spüre ich, dass meine Wangen brennen. Ich ziehe das Buch hervor, blättere zu der Seite und beginne zu lesen. Aber nur mein Mund trägt vor, wie der Prediger Casy von einem Fremden mit dem Knüppel erschlagen wird, während sein Freund Tom zuschaut. Mein Gehirn nimmt kaum etwas davon wahr, denn es registriert vor allem Mystery Boy, der keinen halben Meter von mir entfernt sitzt und mich anschaut. Er rückt dichter an mich heran. Ein leichter Zimtgeruch steigt mir in die Nase, und ich stolpere über meine Worte.
    Mr. Snyder rettet mich. «Vielen Dank, Miss Cavanaugh.» Sein Blick gleitet über die Klasse.
    Bitte nimm Mystery Boy dran.
    Mr. Snyders Blick landet auf dem Neuen. «Mr. Cain, bitte lesen Sie weiter.»
    Mystery Boy sieht mich noch immer an. Um seine Mundwinkel spielt ein Lächeln. «Kein Problem», sagt er. Als er anfängt zu lesen, ist seine Stimme wie warmer Honig, schwerflüssig und voll klebriger Süße. Nur dass er mich noch anschaut, während er schon liest. «Tom blickte hinunter auf den Prediger. Das Licht fiel auf die Beine des stämmigen Mannes und auf den neuen weißen Totschläger. Tom sprang lautlos auf ihn zu und entwand ihm den Knüppel. Das erste Mal schlug er fehl und traf eine Schulter, aber das zweite Mal krachte der Schlag auf den Kopf nieder, und als der schwere Mann zu Boden sank, trafen noch drei weitere Schläge seinen Kopf …»
    Es klingt, als mache es ihm Spaß, die blutrünstigen Zeilen vorzutragen, als koste er sie regelrecht aus. Mr. Snyder schließt die Augen und wirkt wie weggetreten. Bis zum Ende des Kapitels lässt er den Neuen kommen. So lange hat er noch nie jemanden vorlesen lassen. Ich schaue mich nach den anderen um. Alle, selbst Marshal Johnson, Mr. Obercool, sehen aus wie hypnotisiert.
    «Soll ich mit Kapitel siebenundzwanzig weitermachen?», fragt Mystery Boy. Mr. Snyder erwacht aus seiner Trance.
    «Ähm – nein. Danke, Mr. Cain. Das genügt. Aber Sie haben das wunderbar gemacht. Bis morgen werden bitte alle die zweite Hälfte des Kapitels zusammenfassen und die wichtigsten Punkte notieren. Sie haben den Rest der Stunde, um damit anzufangen. Arbeiten Sie ruhig mit Ihrem Nachbarn zusammen.»
    Mystery Boy dreht sich zu mir um, klappt sein Buch zu, und seine Augen halten meinen Blick fest. «Hast du auch einen Vornamen, Miss Cavanaugh?»
    «Frannie. Und du?»
    «Luc.»
    «Nett, dich kennenzulernen. Das war übrigens ein beeindruckender Trick.»
    «Was?» Er grinst.
    «Na eben. Als du vorgelesen hast, ohne ins Buch zu schauen.»
    Er lehnt sich zurück, und sein Grinsen lässt nach. «Das hast du dir nur eingebildet.»
    «Nein, absolut nicht. Erst beim zweiten Satz hast du einen Blick ins Buch geworfen, und die Seite hast du auch zu spät umgeblättert. Warum hast du Steinbeck auswendig gelernt?»
    «Das habe ich nicht», lügt er mir ins Gesicht, doch ehe ich noch mal nachhaken kann, wechselt er das Thema. «Was war denn das mit dem Artikel im Globe ?»
    «Ach, nichts Besonderes. Es ging um die Briefe, die wir an Schüler in Pakistan schreiben. So eine Art Brieffreundschaft. Das Ziel ist, einander besser kennenzulernen – du weißt schon: unsere Kultur und so.»
    «Ach was.»
    «Möchtest du auch jemandem schreiben?» Ich wühle in meiner Tasche und ziehe eine Mappe
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