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Angel Eyes. Zwischen Himmel und Hölle (German Edition)

Angel Eyes. Zwischen Himmel und Hölle (German Edition)

Titel: Angel Eyes. Zwischen Himmel und Hölle (German Edition)
Autoren: Lisa Desrochers
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die gewünschte Richtung zu lenken. Dazu muss ich nicht einmal meine Macht einsetzen, nicht dass ich ein schlechtes Gewissen hätte, es zu tun, denn so etwas wie ein «Gewissen» gehört bei Dämonen nicht zur Grundausstattung. Aber es ist nun mal so, dass ich es ehrlicher finde, wenn Menschen freiwillig zu ihren Sünden finden. Nun ja, nicht gerade ehrlicher, denn auch an Ehrlichkeit liegt mir nicht viel; eher ist die Herausforderung so einen Tick größer.
    Abgesehen davon gibt es Regeln: Sterbliche, deren Seelen noch frei sind, dürfen wir weder verderben noch sie zu Taten zwingen, die sie aus eigenem Antrieb nie begehen würden. Meine Macht setze ich meistens nur ein, um ihre Gedanken zu verwirren und die Trennlinie zwischen Gut und Böse, sagen wir, leicht zu verwischen. Wenn also jemand behauptet, der Teufel hätte ihn zu etwas gezwungen, dann lügt er.
    Während ich über die Flure schlendere, atme ich die Düfte der Teenager-Sünden ein, die so schwer in der Luft hängen, dass ich sie geradezu schmecken kann. Meine sechs Sinne sind erwacht und aufs äußerste gespannt. Aber dieser Auftrag ist ja auch anders als sonst, denn diesmal bin ich auf eine spezielle Seele aus. Auf dem Weg zum Gebäude Nummer sechs durchzuckt mich so etwas wie ein knisternder Stromstoß. Ein gutes Zeichen. Ich lasse mir Zeit, schlängele mich durch die Menge der Schüler und halte nach Kandidaten Ausschau. Den Klassenraum betrete ich erst mit dem letzten Klingeln.
    Der Raum Nummer 616 ist nicht heller als der Rest der Schule, aber wenigstens hat man versucht, ihn zu dekorieren. Plakate von Shakespeare-Aufführungen hängen an den Wänden – allerdings nur von Tragödien. Die Tische stehen in Zweierreihen und sind fast alle besetzt. Ich durchquere den Mittelgang zum Pult von Mr. Snyder und halte ihm meinen Stundenplan hin. Mr. Snyder wendet mir sein schmales Gesicht zu. Auf der Spitze seiner langen graden Nase sitzt eine Brille.
    «Luc Cain», stelle ich mich vor. «Ich bin neu.»
    «Cain – Cain …» Er fährt sich durch sein schütter werdendes graues Haar, überfliegt die Klassenliste und entdeckt meinen Namen. «Ach, da sind Sie ja.» Er reicht mir ein Heft und ein Exemplar von Früchte des Zorns . Dann studiert er noch einmal die Liste. «Cain. Das heißt, Sie sitzen zwischen Mr. Butler und Miss Cavanaugh.» Mit diesen Worten steht er auf und versucht vergeblich, die Knitterfalten auf seinem weißen Oberhemd zu glätten. «Alle mal herhören», beginnt er. «Wir wechseln die Sitzplätze. Jeder, mit Miss Cavanaugh angefangen, rückt einen Stuhl weiter nach rechts.»
    Etliche der kleinen Lemminge murren, tun aber wie befohlen. Ich folge dem Wink von Mr. Snyder und setze mich auf meinen Platz. Mr. Butler ist groß, dünn und trägt eine Brille. Außerdem hat er Pickel und ein eher schwach ausgeprägtes Selbstbewusstsein, um es mal so zu sagen. Miss Cavanaugh dagegen schaut mich aus blauen Augen neugierig an. Ihr Selbstbewusstsein ist fraglos intakt. Während ich sie beobachte, spüre ich wieder die Stromstöße, die durch meinen Körper fahren. Sie ist ziemlich klein und hat gewelltes sandfarbenes Haar, das im Nacken zu einem Knoten geschlungen ist. Ihre Haut ist hell, doch in ihrem Inneren scheint es zu glühen. Definitiv eine Kandidatin.
    Frannie
    Normalerweise gehöre ich nicht zu den Mädchen, die beim Anblick eines gutaussehenden Jungen gleich hyperventilieren. Aber als der Neue in unserer Englischstunde auftaucht, bin ich fast so weit. Er ist groß, dunkelhaarig und irgendwie gefährlich. Der Stoff, aus dem die Träume sind. Und jetzt sieht es sogar so aus, als würde er neben mir sitzen, denn Mr. Snyder, pedantisch, wie er ist, bittet mich, einen Stuhl weiterzurücken. Hauptsache, wir sitzen alphabetisch geordnet, aber ich werde den Teufel tun, mich zu beklagen.
    Mystery Boy kommt auf mich zu. Langsam lasse ich meinen Blick über seine Jeans und das schwarze T-Shirt schweifen und muss immer an den Körper darunter denken. Der Neue setzt sich links neben mich. Nein, er gleitet auf den Stuhl, der mit dem Tisch verbunden ist, geschmeidig wie eine schwarze Katze. Ich wette, die Temperatur im Klassenzimmer ist inzwischen um zehn Grad gestiegen. Das trübe Deckenlicht schimmert auf seinem Augenbrauen-Piercing. Sein schwarzes Haar fällt ihm in die Stirn, während er mich mustert. Seine Augen sind die dunkelsten, die ich jemals gesehen habe.
    Mr. Snyder kontrolliert, ob alle anwesend sind. Dann gibt er sich einen Ruck
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