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Anatomie

Anatomie

Titel: Anatomie
Autoren: Bass jefferson
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Williams’ Schulter und hielt mir dann zuerst eine Stiefelsohle zum Fotografieren hin, danach die andere. Als Nächstes stützte Williams sich auf Kitchings, und ich fotografierte auch seine Sohlen. Schließlich reichte ich Kitchings die Kamera und bat ihn, eine Aufnahme von meinen Sohlen zu machen. Es war unwahrscheinlich, dass es vor Gericht zur Sprache kam, aber ich wollte nicht, dass irgendein Verteidiger behauptete, das, was die Staatsanwaltschaft als die Fußabdrücke eines skrupellosen Mörders präsentierte, seien eigentlich die Abdrücke eines tollpatschigen Anthropologen.
    Das Einzige, was ich außer meiner Kamera noch aus Knoxville mitgebracht hatte, waren ein paar Latexhandschuhe, ein kleines Maßband und ein Taschenmesser. Ich klappte das Taschenmesser auf und legte es auf die Felsplatte, zog die Handschuhe an und nahm es wieder zur Hand. Mit der Spitze ritzte ich dort, wo sich die Wange befunden hatte, vorsichtig an der Adipocire. Wie erwartet war darunter nichts als Knochen. »Ich kann die Ethnie unmöglich mit Hilfe der Haut bestimmen«, sagte ich, »denn es ist keine Haut mehr vorhanden.«
    Williams sprach. »Muss weiß sein. Wir haben hier oben keine Schwarzen. Jedenfalls nicht nach Sonnenuntergang.« Er kicherte. »Nicht, wenn dem schwarzen Mann sein Leben lieb ist.«
    Ich richtete den Blick auf den Deputy. »Andererseits, wenn ein Schwarzer hier oben nach Sonnenuntergang eine Autopanne hat oder sich verfährt, dann könnte so was hier doch genau der Fleck sein, an dem er dann landet, was?«
    »Leon, Sie dumpfbackiger, hinterwäldlerischer Rassist«, fuhr Kitchings auf.
    Williams blinzelte und wandte den Blick ab, während seine Kiefermuskulatur schwer arbeitete.
    »Sie haben wahrscheinlich recht, ich bin mir ziemlich sicher, dass es ein Weißer oder eine Weiße ist«, fuhr ich fort. »Das Haar sieht glatt und blond aus, und die Mundpartie ist lehrbuchmäßig kaukasoid – sehen Sie, wie senkrecht die Zähne stehen?« Ich berührte mit der Messerspitze die Stelle zwischen Nase und Oberlippe, dann berührte ich mit der flachen Seite der Schneide über die Lippen hinweg das schmierige Kinn. »Wenn diese Person negroid wäre, würden die Zähne und Kieferknochen stark nach vorn stehen, und diese gerade Schneide könnte das Kinn nicht berühren.«
    Ich holte das Maßband heraus. Mit Hilfe von Williams, der behutsam das eine Ende hielt, maß ich die Leiche. »Ungefähr ein Meter dreiundsiebzig«, las ich ab. »Wenn man das Schrumpfen der Knorpel post mortem berücksichtigt, könnte er oder sie zu Lebzeiten noch fünf bis sieben Zentimeter größer gewesen sein. Von der Statur her würde ich auf einen Mann tippen, aber die Gesichtszüge, der kleine Schädel und das breite Becken lassen mich eher an eine Frau denken. Irgendwelche Vermutungen? Wird in Cooke County irgendeine Frau – eine große Frau – vermisst?«
    Sie überlegten eine Weile. »Nicht dass ich wüsste«, brach Kitchings das Schweigen. »Was schätzen Sie denn, Doc, wie lange sie schon hier drin ist?«
    »Wegen der Höhle und der Adipocire ist das schwer zu sagen. Höhlen sind kühl, und es sieht nicht so aus, als wären hier je Fliegen oder Maden eingedrungen. Es könnte also sehr lange sein – ich schätze eher Jahre als Monate, vielleicht sogar viele Jahre.«
    »Nun, das heißt, dass wir die Akten vieler Jahre überprüfen müssen«, sagte Kitchings. »Könnte eine Weile dauern. Die Aktenlage ist auch nicht besonders gut. Seit ich hier Sheriff bin, sind sie in Schuss, aber die alten sind ein einziges Durcheinander.«
    »Nun, schauen Sie, was Sie finden können«, sagte ich. »Könnte auch sein, dass irgendwelche Leute sich auf Anhieb erinnern. Haben auf der Bank vor dem Gericht nicht ein paar alte Veteranen gesessen und irgendwas geschnitzt? Sie würden staunen, was solche Burschen Ihnen alles erzählen können.«
    »Nun, ich bin mir nicht sicher, ob ich viel auf die Erinnerungen dieser Kerle geben soll, aber ich frage sie mal. Was können Sie mir noch über sie sagen?«
    »Im Augenblick nicht viel. Ich muss die Leiche ins rechtsmedizinische Institut der Universitätsklinik bringen lassen und die Überreste untersuchen«, sagte ich. »Das Gewebe entfernen und die Knochen eingehend unter die Lupe nehmen. Dann kann ich Ihnen sagen, wie alt und wie groß sie war und welcher Ethnie sie angehörte. Wir machen Röntgenaufnahmen, suchen nach verheilten Verletzungen, die irgendwo in irgendwelchen Krankenakten auftauchen könnten, und
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