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Anatomie

Anatomie

Titel: Anatomie
Autoren: Bass jefferson
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so groß wie dieses hier und bestand aus kaum mehr als einem langen, schäbigen Sektionssaal und einem winzigen Kühlraum. Unseres dagegen hatte einen begehbaren Kühlraum von der Größe einer Dreifachgarage, zwei saubere, gut beleuchtete Obduktionstische und einen dritten Sektionstisch in einem separaten Raum, der der Säuberung sehr reifer menschlicher Überreste vorbehalten war. Das »Faulleichen-Séparée«, wie alle diesen Raum nannten, verdankte seine Existenz mir und der Body Farm. Es war ausgestattet mit elektrischen Herden und Mazerationskesseln, in denen sterbliche Überreste gekocht wurden, um das Fleisch von den Knochen zu lösen; mit waschküchengroßen Spülsteinen, um die Knochen vollständig abzukratzen und sauber zu schrubben; und mit einem leistungsstarken Abfallzerkleinerer, um all das zu zermahlen, was sich von meiner Parade zersetzter Mordopfer und zu Forschungszwecken verwesender Leichen löste. Die einzige Annehmlichkeit, die uns noch fehlte, war ein unterirdisches Förderband, das meine Leichen zur Farm raus und zurück beförderte.
    Eine Videokamera an der Laderampe erfasste unsere Ankunft, und als Williams zum Gebäude zurücksetzte, glitt das Garagentor auf, damit die Geländelimousine in die Ladezone einfahren konnte. Als ich aus dem Wagen stieg, öffnete sich eine innere Tür, und Miranda Lovelady kam heraus und rollte eine fahrbare Krankentrage an die Heckklappe des Cherokee. Miranda war Assistentin in der forensischen Abteilung des anthropologischen Instituts. Und statt Hausarbeiten von Studierenden im zweiten Studienjahr zu beurteilen und nach abgeschriebenen Aufsätzen zu suchen – was typische Aufgaben für eine Assistentin gewesen wären –, musste sie bei uns Leichen mazerieren und Knochen katalogisieren. Sie hätte nicht glücklicher sein können.
    Miranda half mir, den Leichensack aus der Geländelimousine auf die Fahrtrage zu hieven. Williams schaute vom hinteren Ende der Garage misstrauisch zu. Als ich die Heckklappe des Wagens zuschlug, sprang er förmlich auf den Fahrersitz. »Ich schätze, ich mache mich besser auf den Rückweg«, sagte er. »Wir hören voneinander. Danke, Doc.«
    »Ich freue mich, Ihnen behilflich sein zu können«, sagte ich. »Und fahren Sie vorsichtig.«
    »Immer doch.«
    Als er langsam aus der Garage rollte, warfen seine Rücklichter einen rosigen Schimmer über den von Laternen beleuchteten Beton, die Leiche und Miranda. Ich hielt einen Augenblick inne, um das Bild, das sich meinen Augen bot, zu bewundern. An den meisten Menschen hing so ein grüner Kittel herunter wie ein Zelt, Mirandas Kittel jedoch betonte irgendwie ihre Kurven. Wie es ihr gelang, in einem so unförmigen Ding so wohlgeformt auszusehen, war ein Rätsel, das mich auf ewig faszinieren würde.
    Sie störte mich in meiner Träumerei. »Was haben wir hier, Dr. B.?«
    Ich besann mich darauf, warum wir hier waren. »Der Fall wird Ihnen zusagen, Miranda. Eine Leiche aus einer Höhle in Cooke County. Die ausgedehnteste Adipocire-Bildung, die mir je untergekommen ist.«
    Sie nickte anerkennend. »Cool. Sollen wir sie reinbringen, oder wollen Sie zuerst ein paar Aufnahmen machen?«
    »Machen wir zuerst ein paar Aufnahmen.«
    Sie verschwand im Gebäude und tauchte einen Augenblick später mit einem mobilen Röntgenapparat wieder auf, der in einem kleinen Büro den Flur hinunter stand. Jahrelange Erfahrung hatte mich gelehrt, dass Röntgenaufnahmen in verbranntem oder verwestem Fleisch Bemerkenswertes ans Licht fördern konnten: eine Kugel in einem Schädel oder einer Brusthöhle; einen Schnitt in einer Rippe oder einem Wirbel; einen Herzschrittmacher oder ein orthopädisches Hilfsmittel, das zu einem Hersteller, einem Chirurgen oder sogar zu einem Patienten zurückverfolgt werden konnte. Doch ich hatte – nach einem denkwürdigen Anpfiff – auch gelernt, mich niemals mit einer stinkenden Leiche im Schlepptau in die Radiologie eines Krankenhauses zu wagen. Ich hegte den Verdacht, dass die Radiologen, wenn das Budget des rechtsmedizinischen Instituts nicht für die Anschaffung eines mobilen Röntgengeräts gereicht hätte, fröhlich in die eigenen Taschen gegriffen hätten, um mich und meine verwesten Freunde von ihnen fernzuhalten.
    »Das ist Fall Nummer dreiundzwanzig für dieses Jahr«, erinnerte ich Miranda, obwohl sie das eindeutig schon wusste, denn sie reichte mir ein röntgenstrahlendurchlässiges Etikett, das sie für die Röntgenaufnahmen vorbereitet hatte. Auf dem Etikett standen
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