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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman
Autoren: Neal Stephenson
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überblickt und ihre Bewegungen lenkt, können sie dann wirklich koordinierte Manöver durchführen?«
    »Das klingt ein bisschen wie Saunt Taungas Frage«, bemerkte ich (»Kann ein genügend großes Feld von Zellularautomaten denken?«).
    »Und, können sie?«
    »Ich habe Ameisen zusammenarbeiten sehen, um einen Teil meines Mittagessens fortzutragen, daher weiß ich, dass sie ihre Aktionen koordinieren können.«

    »Wenn ich aber eine von hundert Ameisen bin, die alle eine Rosine vorwärtsschieben, spüre ich, wie die Rosine sich bewegt, stimmt’s? – Die Rosine ist also für sie eine Art, miteinander zu kommunizieren. Bin ich dagegen eine einzelne Ameise auf einem Schlachtfeld …«
    »Es ist Provene, Distelkopf.«
    »Gut«, sagte er, drehte mir den Rücken zu und ging los. Neben anderen merkwürdigen Zügen war es diese Neigung, Gespräche unvermittelt abzubrechen, die ihm den Ruf eingebracht hatten, nicht ganz dicht zu sein. Er hatte wieder mal seine Sphär vergessen. Ich hob sie auf und warf sie nach ihm. Sie prallte an seinem Hinterkopf ab und flog geradewegs in die Luft; ohne richtig hinzuschauen, streckte er eine Hand aus und fing sie beim Herunterfallen auf. Da ich weder lebendige noch tote Kombattanten an den Füßen haben wollte, ging ich vorsichtig um das Schlachtfeld herum und eilte dann hinter ihm her.
    Weit vor mir erreichte Lio die Ecke des Klostrums und tauchte vor einer größeren Menge sich langsam fortbewegender Suurs auf eine Weise hinein, die ziemlich grob und doch so verrückt war, dass die Suurs alle glucksten und sich nichts weiter dabei dachten. Dann verstopften sie den Torbogen, sodass ich hinter ihnen ausgesperrt war. Ich hatte Fraa Lio gewarnt, nicht zu spät zu kommen; jetzt würde ich selbst als Letzter eintreffen und mit finsteren Blicken bedacht werden.
    Aut: (1) In Proto- und Altorth eine Tat; eine von einer Einheit, normalerweise einem Individuum, bewusst ausgeführte Handlung. (2) In Mittel- und Spätorth ein für gewöhnlich von einer Avotversammlung vollzogener feierlicher Ritus, durch den der Math oder Konzent als Ganzes eine Art kollektive Handlung begeht, die typischerweise durch das Singen monotoner Gesänge, die Ausführung kodierter Gesten oder anderes rituelles Gebaren ein feierliches Gepräge erhält.
    DAS WÖRTERBUCH, 4. Auflage, A. R. 3000
    In gewisser Hinsicht war die Uhr das ganze Mynster mitsamt seinem Kellergeschoss. Wenn die Leute von »der Uhr« sprachen, meinten
sie jedoch meistens deren vier Ziffernblätter, die hoch oben an den Mauern des Praesidiums – der zentrale Turm des Mynsters – angebracht waren. Die Ziffernblätter entstammten verschiedenen Zeitaltern, und jedes zeigte die Zeit auf andere Weise. Doch alle vier waren mit demselben inneren Uhrwerk verbunden. Jedes gab die Zeit an, dazu den Wochentag, den Monat, die Mondphase, das Jahr und (für diejenigen, die sie zu lesen vermochten) eine Menge anderer kosmographischer Geheimnisse.
    Das Praesidium stand auf vier Pfeilern und war im Querschnitt zum überwiegenden Teil quadratisch. Kurz über den Ziffernblättern waren die Ecken des quadratischen Grundrisses jedoch gespalten, was ihn zu einem Oktogon machte, etwas weiter oben wurde das Oktogon zu einem sechzehnseitigen Polygon und darüber schließlich rund. Das Dach des Praesidiums war eine Scheibe oder vielmehr eine Linse, denn damit Regenwasser ablaufen konnte, war es in der Mitte leicht hochgewölbt. Auf ihm ruhten die Megalithen, Kuppeln, Wetterdächer und Türmchen des Sternrunds, das dasselbe Uhrwerk antrieb und selbst von ihm angetrieben wurde, von dem auch die Ziffernblätter bewegt wurden.
    Unter jedem einzelnen Ziffernblatt befand sich ein durch Maßwerk abgeschirmter Glockenstuhl. Unterhalb der Glockenstühle streckte der Turm abfallende, Strebepfeiler genannte Steinbögen zur Stabilisierung von sich. Halt fanden diese zwischen den höchsten Spitzen von vier außerhalb stehenden Türmen, die niedriger und gedrungener als das Praesidium, aber nach demselben allgemeinen Plan gebaut waren. Die Türme waren durch Systeme aus Bögen und Maßwerk miteinander verwoben, die die untere Hälfte des Praesidiums verschluckten und im Wesentlichen den Grundriss des Mynsters bildeten.
    Das Mynster hatte eine steil gewölbte Decke aus Stein. Über den Gewölbebögen war ein flaches Dach angebracht worden. Auf dieses Dach hatte man den Horst des Wehrwarts gebaut. Dessen Innenhof, der im Viereck das Praesidium umgab, war überdacht, von Mauern umschlossen
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