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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman
Autoren: Neal Stephenson
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größten Teil unserer Nahrung anbauten, eine Schlachtreihe bis hinunter zum Fluss gebildet. Die Reihe abwärts reichten wir leere und aufwärts volle Eimer und gossen das Wasser über jene Strüppe, die am ehesten in Flammen aufzugehen drohten. Wer je ein gepflegtes Strüpp im Spätsommer gesehen hat, weiß, warum; die Menge an Biomasse ist gewaltig und zu dieser Jahreszeit trocken genug, um zu brennen.

    Bei der Inquisition hatte der damals diensthabende stellvertretende Regelwart ausgesagt, das anfängliche Feuer habe so viel Rauch produziert, dass er nicht eindeutig habe erkennen können, was Lio und Jesry gemacht hätten. So war das Ganze als Unfall in der Chronik vermerkt worden, und die Jungen waren mit einer Buße davongekommen. Ich weiß aber, da Jesry es mir später erzählt hat, dass Lio, als das Feuer von dem Frohkraut auf das umliegende Gras übergegriffen hatte, statt es auszutreten den Vorschlag machte, Feuer mit Feuer zu bekämpfen und es mithilfe von Feuerthade unter Kontrolle zu halten. Ihr Bestreben, Gegenfeuer zu legen, hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Jesry hatte Lio aus der Gefahrenzone geschleppt, als er versuchte, ein Gegen-Gegenfeuer anzuzünden, um ein System von Gegenfeuern einzudämmen, das eigentlich das ursprüngliche Feuer hätte eindämmen sollen, aber außer Kontrolle geraten war. Da er die Hände mit Lio voll hatte, hatte er seine Sphär loslassen müssen, die seitdem an einer Stelle steif war und nicht mehr ganz transparent werden konnte. Jedenfalls hatte das Feuer uns einen Vorwand geliefert, endlich das zu tun, worüber wir schon immer gesprochen hatten, nämlich Klee und andere Blütenpflanzen auszusäen und Bienen zu halten. Wenn es extramuros eine funktionierende Wirtschaft gab, konnten wir den Honig in der Marktbude vor dem Tagestor an Burgher verkaufen und uns mit dem Geld Dinge kaufen, die innerhalb des Konzents schwer herzustellen waren. Waren die Bedingungen draußen allerdings postapokalyptisch, konnten wir den Honig essen.
    Als ich auf das Mynster zulief, hatte ich die Steinmauer zu meiner Rechten. Die Strüppe – jetzt genauso voll und reif wie vor dem Feuer – befanden sich zum größten Teil hinter und links von mir. Vor mir und ein kleines Stück bergauf lagen die Sieben Treppen, vollgestopft mit Avot. Verglichen mit den anderen, sämtlich in ihre Kullen gehüllten Fraas sah der halb nackte Lio, der sich doppelt so schnell bewegte, wie eine Ameise der falschen Farbe aus.
    Der Chorraum, das Herz des Mynsters, hatte einen achteckigen Grundriss (oder wie Theoren es lieber ausdrücken würden, die Symmetriegruppe der achten Einheitswurzeln). Seine acht Wände waren dichtes Maßwerk, manche aus Stein, andere aus geschnitztem Holz. Wir nannten sie Schirme, ein für extramurische Menschen verwirrender Begriff, denn für sie bezeichnete Schirm oder auch Bildschirm etwas, worauf man einen Spulo anschauen oder
ein Spiel spielen konnte. Für uns dagegen war ein Schirm eine Wand mit vielen Löchern drin, eine Barriere, durch die man sehen, hören und riechen konnte.
    Vier große Langhäuser erstreckten sich von der Basis des Mynsters nach Norden, Osten, Süden, Westen. Wer je einer Hochzeit oder Trauerfeier in einer der Archs der Deolatisten beigewohnt hat, würde sich von einem Langhaus an den großen Teil erinnert fühlen, in dem die Gäste sitzen, stehen, knien, sich geißeln, über den Boden rollen oder was sonst auch immer tun. Der Chorraum entspräche dann der Stelle, wo der Priester am Altar steht. Wenn man das Mynster aus der Ferne sieht, sind es die vier Langhäuser, die es unten so ausladend machen.
    Gäste von Extramuros wie der Handwerker Flec durften, wenn sie nicht besonders ansteckend waren und sich im Großen und Ganzen zu benehmen wussten, durch das Tagestor hereinkommen und Auts vom nördlichen Langhaus aus verfolgen. Über die letzten anderthalb Jahrhunderte hinweg war es mehr oder weniger so gewesen. Wer unseren Konzent durch das Tagestor betrat, wurde zum Haupteingang in der Nordfassade geleitet und bewegte sich durch den Mittelgang des nördlichen Langhauses auf den Schirm an dessen Ende zu. Es war verzeihlich, wenn man dachte, das ganze Mynster bestünde nur aus diesem Langhaus und dem achteckigen Raum auf der anderen Seite des Schirms. Im östlichen, westlichen oder südlichen Langhaus wäre man derselben irrigen Meinung. Die Schirme waren auf der dem Langhaus zugewandten Seite verdunkelt und auf der Chorseite erleuchtet, sodass man mühelos in
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