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Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman
Autoren: Neal Stephenson
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den Chorraum, aber unmöglich darüber hinaus sehen konnte, was in jedem Langhaus die Illusion schuf, es gäbe nur dieses eine und der Chor gehörte nur zu ihm.
    Das östliche Langhaus war leer und wenig benutzt. Wir hatten die älteren Fraas und Suurs nach dem Grund gefragt, worauf sie mit einer wegwerfenden Handbewegung »erklärt« hatten, das sei der offizielle Eingang des Mynsters. Wenn das stimmte, war er so offiziell, dass niemand etwas mit ihm anzufangen wusste. Irgendwann hatte einmal eine Orgel dort gestanden, aber während der Zweiten Verheerung war sie herausgerissen worden, und spätere Verbesserungen der Regel hatten alle anderen Musikinstrumente verbannt. Als meine Schar noch jünger gewesen war, hatte Orolo uns mehrere Jahre lang mit der Aussage getäuscht, es sei die Rede davon,
ein Heiligtum für die Zehntausendjahresfraas daraus zu machen, falls der Konzent Saunt Edhar es je schaffte, einen Math für sie zu bauen. »Vor 689 Jahren wurde den Millenariern ein Vorschlag unterbreitet«, hatte er gesagt, »und ihre Antwort wird in weiteren 311 erwartet.«
    Das südliche Langhaus war den Zentenariern vorbehalten, die es über ihre Hälfte der Wiese bequem erreichen konnten. Es war viel zu groß für sie. Diese Tatsache hatte uns Zehner, die wir uns gleich daneben auf viel kleinerem Raum zusammendrängen mussten, schon mehr als dreitausend Jahre geärgert.
    Das westliche Langhaus hatte die besten Buntglasfenster und die schönsten Steinreliefs, da es von den Unariern benutzt wurde, dem Math, der von allen bei Weitem am besten ausgestattet war. Allerdings waren sie zahlreich genug, um den ganzen Raum auszufüllen, sodass wir ihnen ihren vielen Platz durchaus gönnten.
    Blieben noch vier Schirmwände des Chores übrig – Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten -, die dieselbe Größe und Form hatten wie die vier in den Haupthimmelsrichtungen, aber nicht mit richtigen Langhäusern verbunden waren. Auf den dunklen Seiten dieser Schirme lagen die vier Ecken des Mynsters, überhäuft mit konstruktiven Elementen, die für Menschen störend, aber eben notwendig waren, damit das ganze Ding stehen blieb. Unsere Ecke, die südwestliche, war bei Weitem die vollste von allen, denn es gab ungefähr dreihundert Zehner. Unser Platz war deshalb durch zwei Seitentürme erweitert worden, die sich aus den Wänden des Mynsters herauswölbten und für seine offensichtliche Asymmetrie in dieser Ecke verantwortlich waren.
    Die nordwestliche Ecke bildete die Verbindung zum Gelände des Primas und wurde nur von ihm, seinen Gästen, den Warten und anderen Hierarchen benutzt, sodass hier kein Gedränge herrschte. Die südöstliche Ecke war die der Tausender; sie war unmittelbar mit deren phantastischer handgemeißelter Steintreppe verbunden, die sich das Antlitz ihrer Klippe hinabstürzte, drehte und wand.
    Die nordöstliche Ecke direkt gegenüber von uns war den Ita vorbehalten. Ihr Tor führte unmittelbar zu ihrer informellen überdachten Siedlung, dem Gebiet zwischen dieser Seite des Mynsters und der natürlichen Felsklippe, die in diesem Bereich die Außenmauer des Konzents bildete. Ein Tunnel gewährte ihnen angeblich Zugang zu dem Uhrwerk im Keller, für dessen Wartung sie verantwortlich
waren. Doch das war wie das meiste, was wir über die Ita wussten, kaum mehr als Folklore.
    Es gab also acht Wege in das Mynster, wenn man nur die offiziellen Tore zählte. Aber die mathische Architektur war ausgesprochen kompliziert, und so gab es darüber hinaus eine ganze Menge kleiner Türen, die selten benutzt wurden und von denen, außer neugierigen Fids, kaum jemand wusste.
    So schnell ich konnte, ohne auf irgendwelche Bienen zu treten, schlurfte ich durch den Klee. Dennoch kam ich besser voran als die auf den Sieben Treppen und erreichte bald die Wiesentür, die in einen in den ursprünglichen Felsen gemauerten Bogen eingelassen war. Eine steinerne Treppe brachte mich hinauf auf die Hauptebene des Mynsters. Ich schlüpfte durch eine Reihe merkwürdiger, schäbiger kleiner Lagerräume, in denen gerade nicht in Gebrauch befindliche Gewänder und zeremonielle Gegenstände aufbewahrt wurden. Dann trat ich hinaus in das architektonische Durcheinander in der südwestlichen Ecke, die wir Zehner anstelle eines Langhauses benutzten. Hereinströmende Fraas und Suurs versperrten mir den Weg. Aber überall da, wo eine Säule die Sicht behinderte, gab es freie Gassen. In einer dieser Gassen, unmittelbar vor dem Sockel einer Säule, befand
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