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An einem Tag wie diesem

An einem Tag wie diesem

Titel: An einem Tag wie diesem
Autoren: Peter Stamm
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lachte nur. Er sagte nichts von dem, was er sich vorgenommen hatte. Nach einer Stunde stand Fabienne auf und sagte, sie müsse los, sie habe sich mit einer Freundin verabredet.
    In den knapp zwei Monaten, die Fabienne noch in Paris war, sahen sie sich vier- oder fünfmal. Sie tranken Tee oder Kaffee, und einmal schauten sie sich im Kino einen Film von Fritz Lang an. Kurz vor dem Ende riss der Film, und nach einer langen Pause wurde Licht gemacht im Saal, und eine Frau kam herein und sagte, aus technischen Gründen könnten sie das Ende des Filmes nicht zeigen. In ein paar Sätzen erzählte sie, wie die Geschichte ausging.
    Andreas fragte Fabienne, ob sie noch etwas trinken wolle. Sie sagte, sie sei müde. Er begleitete sie bis vor die Haustür. Sie hatten den ganzen Abend nur über Belanglosigkeiten geredet. Als sie schweigend nebeneinander hergingen, wollte er endlich sagen, was er sich vorgenommen hatte, aber er brachte kein Wort heraus, nur ein Krächzen. Fabienne fragte, ob er etwas gesagt habe. Nein, sagte er, er habe einen rauen Hals.
    Andreas bildete sich nicht ein, dass die Liebe zu einem Au-pair-Mädchen besonders originell war. Es musste viele geben, die Ähnliches erlebt hatten. Verblüffend waren die vielen Details seiner Geschichte, die mit jenen im Buch übereinstimmten. Der Kosename, den er Fabienne gegeben hatte, ihr Aussehen und dass sie sich in Paris eine Katze kaufte und sich im
Kino alte deutsche Filme anschaute. Dass sie ihm französische Kinderlieder vorsang und dass ihr Vater Arzt war.
    Der Autor des Büchleins hieß Gregor Wolf. Vorne im Buch war eine kurze Biographie. Es hieß, er sei 1953 geboren und habe nach einer Lehre als Buchhändler in verschiedenen Berufen gearbeitet, unter anderem als Kellner und als Nachtportier. Er habe längere Zeit im Ausland verbracht. Seit 1985 sei er freier Autor und Publizist und lebe in Flensburg und auf Mallorca. Die Biographie klang wie alle Autorenbiographien. Den Namen hatte Andreas noch nie gehört, aber das hatte nichts zu bedeuten. Hinten im Buch war eine Liste der anderen Veröffentlichungen von Gregor Wolf, ein gutes Dutzend abgeschmackter Titel.
    Andreas fragte sich, ob Fabienne den Autor irgendwann getroffen, ob sie ihm ihre Geschichte erzählt hatte. Es war unwahrscheinlich, aber noch viel unwahrscheinlicher war es, dass all die Übereinstimmungen Zufall waren.
    Er legte das Büchlein weg und machte den Fernseher an, um die Nachrichten zu sehen. Dann schaltete er das Gerät wieder aus. Die Sendungen, die ihn interessierten, kamen für ihn meistens zu spät. Er ging früh zu Bett und schlief schnell ein. Als der Wecker klingelte, war er immer noch müde. Er ging ins Bad, putzte sich die Zähne und duschte erst warm und dann kalt. Er frühstückte nicht, trank nur schnell einen Kaffee und machte sich auf den Weg.
    Am Mittwoch traf Andreas Sylvie. Sie verabredeten sich immer am schulfreien Nachmittag, aber oft kam etwas dazwischen. Sylvie hatte drei Kinder, und wenn eines krank war oder eine Musikstunde ausfiel, schickte sie ihm eine SMS und sagte das Treffen ab. Wenn sie sich dann sahen, machte sie jedes Mal einen Witz über ihr Verhältnis. Manchmal hatte Andreas den Verdacht, sie habe noch andere Liebhaber neben ihm, aber er fragte sie nie danach. Er fand, es gehe ihn nichts an, und eigentlich war es ihm auch egal.
    Sylvie kam mit dem Fahrrad. Sie war außer Atem, als sie an ihm vorbei in die Wohnung trat. Er fragte, ob sie etwas trinken wolle, aber sie sagte, sie habe nicht viel Zeit, und umarmte ihn und drängte ihn ins Schlafzimmer.
    Nachdem sie miteinander geschlafen hatten, war Sylvie etwas ruhiger. Sie erzählte von ihrem Mann und ihren Kindern, von den kleinen Katastrophen, die sich rund um sie ereigneten. Sie hatte eine Unmenge von Verwandten und besten Freunden, die dauernd ihre Hilfe zu benötigen schienen, und Andreas hörte ihr zu und brachte die Leute durcheinander, von denen sie sprach. Sie nannte alle beim Vornamen. Das ist dein Bruder, fragte Andreas. Aber nein, sagte Sylvie mit gespieltem Ärger, das ist der Mann meiner besten Freundin oder der Cousin meines Mannes oder der Französischlehrer von Anne. Manchmal fragte Sylvie, warum er nie etwas erzähle. Er sagte, er habe nichts zu erzählen. Sein Leben sei zu formlos und zugleich zu verworren, um darin Geschichten auszumachen. Sylvie hörte nicht zu. Sie stand am Fenster und schaute
hinaus. Sie war nackt, aber sie bewegte sich, als sei sie angezogen.
    »Ein schrecklich
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