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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman
Autoren: Brita Steinwendtner
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Selbstbewusstsein. Sich-auf-den-Weg-machen, brutale Abnabelung, Wunsch, keinen Richter mehr über sich zu haben. Keinen Gottvater und keinen Vater, keinen Psychoterror von Mutterliebe. Ein Schlagwort zum eigenen Credo machen: Heimatlosigkeit als Heimat. Alles Erlebte aufessen, langsam kauen und kleinweis schlucken. Eigene Realität genießen, dennoch Innenraum ausweiten und ihn mit anderen bewohnen. X-Large-Identität.
    Lamandergrund.
    *
    Für einige Jahre wurde das Bauernhaus zum Domizil wechselnder Bewohner, eine Handvoll, manchmal mehr. Jeder schuf sich seinen eigenen Bereich, brachte mit, wen und was er wollte, Freundin, Freund, Hund, Hühner, Bücher. Eine andere Art von Kommune als die Comunità , eine verspätete Hippiegemeinschaft, eine WG in der Mischung aus San Francisco, Berlin, Woodstock und Lamandergraben. Ein kreatives Vakuum, das jeder mit seinen Ideen, Verrücktheiten und Weltentwürfen füllte. Toms Studium stockte. Der Vater, der das Studium finanzierte, verlor die Geduld und stellte ein Ultimatum.
    Aber es war viel zu tun.
    Alle, die hier lebten, halfen mit. Am meisten die Frauen, Xaver, der bald absprang und nach Kanada auswanderte, und Matthias, der blieb. Oft kam Mikram, der große Praktiker vom Nachbardorf, vorbei und Dominik, der noch zur Schule ging und in Tom seinen großen Freund sah. Sie alle rückten den Wirrnissen des Hauses zu Leibe, reparierten, stopften Löcher in Dach und Wänden, tauten eingefrorene Toiletten auf, bauten ein Bad und eine vernünftige Küche ein, entrümpelten Zimmer, Kammern und Dachböden, knallten Ratten ab, hackten Holz, sanierten das Lusthaus, kultivierten den verwilderten Garten und schufen einen Ort, der anderen und wohl auch ihnen selbst als kleines Paradies erschien. Und in den „Kampfpausen“ haben wir uns Kartoffeln gebraten über der Glut aus dem Kachelofen der Bibliothek, sagte Matthias später, es war eine Zeit der roten Backen, wie Kinder sie bekommen, die alles aufregend finden. Es hätte alles immer so bleiben sollen. Eine Art feriale Situation, was für Menschen, die nicht erwachsen werden wollen. Regressiv archaisch, würde ich sagen …
    Matthias und Tom waren ein auffallendes Paar.
    Tom war groß, wirkte stark und ernsthaft, war schlecht rasiert, strahlte Freundlichkeit und Bedächtigkeit aus. Sehr liebenswürdig. Gesellig. Helle Augen, nackenlanges brünettes Haar, herzheiteres Lachen. Manche Dörfler sagten, er sei nicht nur gscheit , sondern auch sehr fesch . Wirkte lässig. Sprach mit einer Zurückhaltung, die etwas Weiches, Verstehendes barg, das anziehend wirkte. Sah ein wenig schlampig aus in seinen alten, weiten Pullovern. Flickt sie angeblich selbst. Das Dorf rätselte. Niemand wusste, was er wirklich tat, hat irgendwie ein Geheimnis, sagten die Leute.
    Matthias war klein, zart, hatte dunkelblondes Kraushaar, das er zu einem Pferdeschwanz trug, war schwarz und edel gekleidet, wirkte nervös. Manche hielten ihn für verschlossen, andere für arrogant und spöttisch. Fremd und attraktiv. Wenn die beiden in das Lagerhaus kamen, um Material für Reparaturen zu kaufen, schauten ihnen die Leute nach. Munkelten. Die zwei Männer . In dem Haus. Wär ja kein Wunder. Der eine ein Nichtstuer, der andere ein Schreiberling. Wer weiß, was der schreibt. Für eine Zeitung irgendwo in Deutschland. Vielleicht für den Playboy ? Manche suchten nach Matthias’ Namen in den Heften, die sie in der Garage oder einem Hinterzimmer versteckt hatten.
    Die Fama.
    Die Dörfler dienten ihr gern.
    Wenn Toms Mutter Sieglinde zu Besuch kam, was selten war, wurde aufgeräumt. Alle, die gerade im Haus wohnten, saßen wie Schüler eingeschüchtert um den Tisch und mimten Artigkeit. Auch sie drängte auf Toms Studienabschluss und erpresste ihn mit Gekränktsein. Nach ihrer Abreise ging alles weiter wie zuvor.
    Noch kam vom Vater der monatliche Scheck.
    Da das Geld nicht reichte, suchte Tom Gelegenheitsarbeiten. Er hatte keine Präferenzen, er war nicht wählerisch, aber flexibel und entschied nach Angebot und Entlohnung:
    Nachtwächter
    Sozialhelfer
    Marktforscher
    Bauarbeiter
    Bodenleger
    Beleuchter
    Tonassistent
    Fortbildungslehrer
    Nachhilfelehrer
    Buchverkäufer
    Bandleader
    Sänger und Gitarrist bei Jazzkonzerten auf Burgen und in Gaststätten
    Flüchtig alles, was er tat.
    Immer etwas, womit er nicht fertig wurde.
    Immer etwas, das ihn woandershin zog.
    Aber das Haus.
    Es wurde seine Höhle.
    Sein Karneval.
    Sein Kälberstrick.
    Frei und gefesselt.
    Der Ort, an
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