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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman
Autoren: Brita Steinwendtner
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war lebhaft, schwarze Locken fielen über ihre Augen, die kurzen, glockigen Röcke schwangen um die Schenkel, ihre Haut roch nach den Tavernen des Hafens von Syrakus, woher sie stammte. Sie liebte schweren sizilianischen Wein und die Deutung von Namen. Es war eine windige Nacht, das Meer lag schwarz unter ihnen, ein paar Lichttupfer von ankernden Schiffen waren in die Finsternis gestreut, als Violetta auf einer Terrasse des Parks zu Tom sagte:
    Du hast manches von beiden, von der Skepsis des Apostels Thomas, der sich nach Glaubenkönnen gesehnt hat, dem aber seine Zweifel im Weg standen, und von der entfesselten Poesie des Dylan Thomas. Der war mehr als ein Bohemien, war wild, verloren, hat sich volltrunken dem Kriegsdienst und später allen Reglementierungen und Verpflichtungen verweigert, ist durch sein Leben getorkelt zwischen Ehefrau und hungernden Kindern in einem abgelegenen südwalisischen Bootshaus und den Künstlertypen von New York City –
    Dylan Thomas …
    Hatte sie recht?
    Aber ich hoffe, sagte Tom und zog Violetta an sich, dass ich nicht so verantwortungslos bin wie er. Hab auch nicht vor, mich zu Tode zu saufen.
    Violetta begleitete Tom nach Fažana an die istrische Küste. Von der Comunità aus war das nicht vorgesehen.
    Wohnte das Paar in der kleinen Pension am Hafen?
    Dunkelgrün die Läden, gelb das Haus?
    … es liegt zwischen dem Hauptplatz, der sich zum Meer hin öffnet, und der steinernen Kirche, deren scheppernde Glocke sie morgens um sechs aus dem Schlaf reißt, im Dämmerlicht des anbrechenden Tages lieben sie sich wieder und wieder, bevor sie aufstehen und den Fischerbooten zusehen, die, beladen mit blauen Bottichen, langsam vom Meer hereintuckern, um ihren Fang auszuladen.
    Lauer Wind am Frühstückstisch.
    Ein kleiner Regen, schon wieder vorbei und hell.

4
    Die Zeit in der Comunità hatte vielerlei Folgen.
    Eine unerwartete führte in den Lamandergraben.
    Alessandro, ein Freund aus der Triestiner Gruppe, wollte barca -Priester werden. Er bat um Bedenkzeit und suchte einen Ort, an dem er mit sich ins Reine kommen konnte. Tom bot ihm das damals unbewohnte Haus am Bach an. Alessandro fand solchen Gefallen an diesem Leben in der Abgeschiedenheit, dennoch nicht weit von Dorf, Greißlerei und Wirtshaus, auch Religiöses war gegenwärtig mit dem beherrschenden Stift und seiner Kirche, dass auch er die Comunità verließ und Tom, der damals für seine wiederbegonnenen Studien zwischen Wien, München und Salzburg unstet unterwegs war, so lebhaft vorschwärmte, dass dieser sich nach langem Zögern entschloss, selbst einzuziehen.
    Es war das Jahr, in dem Deutschland seine Wiedervereinigung feierte.
    Hier ist er geblieben, Thomas N., der Lamander-Tom.
    Und hat das Haus neu erfunden.
    Ohne Plan wurde es zum Spiegel seines Wesens, offen, neugierig und chaotisch, der poetischen Utopie mehr zugetan als der Realität, Konvention verachtend, großzügig und attraktiv für alle, die auf der Suche waren.
    Tom hat damals, als er in das Dorf kam, keine Ahnung vom Leben gehabt, erinnern sich Freunde aus jenen Jahren. Keine Ahnung vom wirklichen Leben. Die barca, so deuten sie es, war eine geschützte Werkstätte für ihn, in der vieles reifen konnte. Sie war tatsächlich sein Boot, um an eine Küste zu kommen, deren Linie sich mit seiner inneren deckte: suchen, helfen, mit anderen für andere da sein, eine bessere Zukunft bauen. Dieses Wollen hat ihn nie mehr verlassen. Toms Leben hat große Konsequenz, sagen sie, es gibt wenig Zufälle darin. Er selbst hätte Zufall doppelt definiert: als Konstrukt, als Ausrede für einfache Gemüter, die das Leben als Rösslsprung sehen, ohne es in das gesamte eigene Spiel zwischen Bauer und Turm, Dame und König einzubetten. Oder das Gegenteil davon, Zufall als herrlich befreiendes Ereignis, das einen über das Gewohnte hinauskatapultiert, in Rot oder Schwarz.
    Es gibt ein Heft. Es hat einen geschmeidigen Umschlag, er ist aus Plastik, greift sich jedoch an wie weiches Leder. Dieses Heft hat nicht die übliche DIN A4 Größe, sondern das amerikanische Letter -Format, eine geringfügige, aber hartnäckige Abweichung. Der Großvater hatte es ihm vor Jahren von einer Kanada-Reise mitgebracht.
    In diesem Heft steht noch anderes. Hilfeschreie an sich selbst. Geißelung, Verzweiflung und Zerrissenheit. Zwischen Gott und Existenzialismus, Unendlichkeitsphantasien und radikalem Selbstentwurf, Ich zwischen Mühlsteinen, Rettung der nackten Haut. Selbstkritik, Suche nach
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