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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman
Autoren: Brita Steinwendtner
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und Unrecht geht, kennt Tom keinen Konjunktiv. Selbst dann nicht, wenn es sich um Fußnoten zur Weltgeschichte handelt. Das macht sein Charisma aus, aber zugleich verzehrt es ihn. Er ist ein Teil-Nehmer, und zwar allen Menschen gegenüber, von Stauffenberg bis zu dir, Dominik.
    Der nahm seine Brille ab, aß von den Oliven, die auf dem Tisch standen, und schob die Kerne lange im Mund hin und her. Hörte zu, horchte auf das schwere, dumpfe Tappen in ihm, vor dem er fliehen wollte und von dem er wusste, was es bedeutete. Hörte es lauter im Pochen seines Herzens als in der Stimme von Parmenides, der fortfuhr,
    Tom hat uns alle aufgewirbelt, ohne Absicht, einfach durch das Mehr, das er ganz still von sich, von uns allen und von allem erwartet. Du weißt es ja selbst, Dominik, dass er auf seiner never ending tour ist, ein Spieler und Träumer zwischen dem großen Jenseitigen und den kleinen strampelnden Figuren, die wir sind …
    Ein Holzwurm schabte leise und unentwegt im Gebälk.
    Möchtest du über Nacht bei uns bleiben, fragte Parmenides, als er sah, dass Dominik nur mehr mit Mühe folgen konnte und ihm vor Müdigkeit die Augen zufielen. Roberta würde sich freuen, dir ein gutes Frühstück zu machen, wenn deine Eltern nicht da sind.
    Als Dominik verneinte, packte ihm Parmenides den Rest der Kalamata-Oliven ein, gab ein Stück Weißbrot dazu, dass du mir nicht verhungerst, sagte er zum Abschied, und begleitete ihn zum Auto.
    Pass auf dich auf und fahr vorsichtig.
    Mach ich, ja, und danke!
    Und als Dominik das Auto schon gestartet hatte, beugte sich Parmenides vor und sagte durch das offene Fenster:
    Noch etwas, Dominik. Es geht Tom nicht gut, du hast es ja gesehen. Da hängen schwere Gewichte an den Worten. Da ist man ungeschützt. In solchen Momenten sagt man vielleicht mehr als in vielen Jahren.
    *
    Um 6.30 Uhr stand Dominik vor dem Haus.
    Um sieben Uhr waren sie am See.
    Tom hatte schon auf der Straße unter den Mostbirnbäumen gewartet.
    Er war pflichtbewusst geworden.
    Elisa würde staunen.
    Er wäre ein guter Vater.
    Wie hieß das Kind eigentlich?
    Tage kamen, Nächte gingen.
    Es stimmt immer mehr als die Wahrheit, hatte er gelesen.
    Es war Mitte August.
    Es war ein schwüler Morgen.
    Gallertartig die Wirklichkeit.
    Ein Eichelhäher schrie im Böschungswald.
    Die Kühe auf der Weide standen in Lethargie.
    Jemand griff zum Telefon.
    Ein Folgetonhorn schrillte durch den Lamandergraben.
    Ein Rettungsauto hielt vor einem verfallenden Haus.
    Ein Bach floss vorbei.

44
    Noch am selben Tag wurde Tom notoperiert.
    Von der Intensivstation aus sah man den Grillparz.
    Die Laster auf der fernen Autobahn zogen vorüber.
    Die Schwalben begannen sich zu sammeln.
    Nach drei Wochen stand Tom wieder am Badesee.
    Verkaufte Eintrittskarten, Sandwiches und Eis.
    War dünn geworden, aber voll Zuversicht.
    Wollte alles besser machen.
    Glaubte zu wissen, wie er das Haus renovieren könne.
    Mariana-Stauffenberg zu Ende bringen könne.
    Zeigte seine lange Narbe über dem Nabel.
    Jetzt kannst du als Fakir gehen, sagte Parmenides.
    Oder als Lagerinsasse in einem KZ, sagte Tom.
    Bist wieder der Jüngling von damals, sagte Matthias.
    Ah, ist lange her …
    … nur die Haare waren länger …
    … und die Jahre weniger.
    Ich wär gern noch einmal 45, sagte Mikram.
    Wird alles wieder gut, sagte Tom.
    Schwester Karin kam von Wien.
    Sie saßen am Ufer des Sees, redeten wenig.
    Nimm den Befund endlich zur Kenntnis, sagte sie.
    Musste seit Jahren gewachsen sein.
    War überall.
    Die dünne, dünne Spanne Zeit.
    Wie soll er leben in dem Haus, wo die Ratten wohnen?
    Der Bach das Gemäuer frisst?
    Warum hat er so viel geraucht?
    So viel getrunken?
    Nie etwas gesagt über die Schmerzen?
    Hat er im Stillen schon aufgegeben?
    In the still of the night …
    Hatte er?
    Er hat sich verirrt, sagte einer.
    Vielleicht war ihm nicht zu helfen.
    Er mochte keine Hilfsangebote und zitierte Kafkas Schlusssatz aus dem „Prozeß“: Wie ein Hund, sagte er, es war, als sollte die Scham ihn überleben.
    Karma-Heiler, peruanischer Schamane.
    Wurde wieder operiert.
    Die Mutter stapelte Kartons im Zimmereck.
    Erschien ihm als Riesin, die ihn umfing und erstickte.
    Wollte ihn füttern, obwohl er künstlich ernährt wurde.
    Roberta brachte warme Socken. Eine Nachbarin Nüsse vom Lamandergrund. Ihr Kind eine Zeichnung von der Brücke über den Bach. Pater Lukas ein Gnadenbild von der braungoldnen Maria im zugigen Gang. Der Vater der Schülerin, der ihm damals an die Gurgel
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