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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman
Autoren: Brita Steinwendtner
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Namen der Gerechtigkeit – es ist das gängige Muster der Verachtung des Menschen, auch im Politischen. Das ist grundsätzlich erschreckend, sehr beunruhigend. Ich hab mit deinen Eltern gekämpft für die Suspendierung dieser Frau, nicht nur für dich, auch für Assunta, und für das Prinzipielle. Ohne Erfolg bisher. Absurd aber auch, Dominik, so ein williges Opfer zu sein. Sich nicht früh genug zu wehren, sich so fertigmachen, so an den Rand drängen zu lassen …
    … war wirklich ein Rand.
    Wie nah warst du dran?
    Verdammt nah. Aber es ist vorbei, Tom. Lass es gut sein …
    Nein, Dominik, nicht gut sein lassen. Auch wenn man ins Schleudern kommt, man darf nicht still sein, sich nicht arrangieren und nicht hinnehmen, was zum Himmel stinkt. Und wann, wenn nicht jetzt , sollten wir anfangen? Und wer, wenn nicht wir ? Hier müssen wir anfangen, jeder Einzelne von uns, hier am Pfosten eines Weidezauns vor unseren Augen …
    Tom stand auf. Mir ist kalt, sagte er, gehen wir hinein. Die achte Stufe knarrte. Auf dem Tisch in der Holzveranda, die noch die Wärme des Tages barg, lagen Zettel, Zeitungen und Bücher, standen Gläser mit Bleistiften, Bierflaschen und Dosen mit alten Tschicks. Auf einer Leine hing Wäsche zum Trocknen.
    Und noch etwas – Tom ging auf und ab, rauchte – ihr seid die Zukunft, Dominik, und wenn man euch ruiniert, wenn man euch das Vertrauen in die positive Gestaltbarkeit des Lebens nimmt und euch zu Dreck oder zu Duckmäusern macht, werdet ihr Dreck und Duckmäusertum in die Gesellschaft bringen und auch in ihr keine Zukunft sehen und keine schaffen –
    Als sich Dominik zum Gehen bereit machen wollte, gab ihm Tom einen leichten Schlag auf die Schulter und sagte in gelösterem Ton: Komm, lass uns noch ein Bier trinken.
    Dominik trank Wasser. Sie redeten und lachten. Die Welt war eine große Überschreibung . Alles schon da gewesen, alles neu. Das dunkle Hin und Her zwischen Verheißung und Enttäuschung.
    Weißt du, sagte Tom, der zum Spass versuchte, eine der vielen Fledermäuse zu fangen, die lautlos durch die Veranda flitzten, das wollte ich dir eigentlich alles gar nicht sagen. Vielmehr das Gegenteil davon: Wie schön und flügelleicht das Leben sein kann. Dass es möglich ist, alles Gezirkelte, Prozentige und Winkelzügige hinter sich zu lassen und jeden Tag als den einen einzigen zu nehmen, um den es geht, als Glückstaumel oder Gerichtstag – nimm ihn, wie er ist, und verschenk und verschleuder ihn nicht. Weißt du, was Ilija Trojanow, der ein Weltensammler ist, gesagt hat? Gerade er, der als Kind schon aus seiner Heimat hat flüchten müssen? Der Weg des Optimisten ist der beschwerlichere. Ich glaube, Dominik, kritisieren, pessimistisch sein, ist wirklich weniger aufwendig, als an eine bessere Welt zu glauben und vor allem etwas dafür zu tun, dass sie entstehen kann. Jedenfalls, junger Mann, such dir einen Mittelweg zwischen Kämpfen und Genießen, du bist begabt für beides. Jeder Tag kann ein Akaziensommer sein, nimm ihn dir, mach ihn dir …
    Dominik hörte zu, gespannt, mit aufgerissenen Augen. Von den Hängen des Grillparz zog kühle Luft über den Bach. Schlafen Farne nachts?
    Wann brichst du auf nach Rom, fragte Tom und trank den letzten Schluck Bier aus der Flasche. Umarmte Dominik flüchtig.
    Nächste Woche.
    Komm, ich hab etwas für dich.
    Im Ostzimmer – es war Elisas Zimmer gewesen – stand die italienische Abteilung. Tom räumte sie zur Gänze aus. Ovid und Vergil, Sallust und Lukrez, Dante, Petrarca, Machiavelli und Pico della Mirandola, Vico, Croce und Italo Svevo, Leon und Natalia Ginzburg, Pasolini, viele, viele mehr. Ungaretti. Angefügt, nahtlos, ans Heute / die Tage gestern, / die Tage morgen …
    Als Dominik die Bücher-Schachteln und -Säcke im Skoda verstaut hatte – er würde damit nach Hause fahren und morgen früh Tom rechtzeitig abholen – und er sich verabschieden wollte, war Tom eingeschlafen. Angezogen lag er auf seinem Verandabett. Dominik holte ein Plaid und deckte ihn zu. Saß noch eine Weile neben ihm. Schaute in den Mond. Zunehmende Sichel.
    Das war alles zu viel für ihn. Dominik war aufgewühlt. Seine Eltern waren für ein paar Tage verreist, es war niemand zu Hause. So fuhr er zu Parmenides, von dem er wusste, dass er nie vor Mitternacht zu Bett ging. Erzählte. Von Inhalt und Ton, Pathos und Dringlichkeit, so fremd für Toms sonstiges unspektakuläres Nebenbei.
    Es ist gut so, Junge, sagte Parmenides, beruhige dich. Wenn es um Verletzungen
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